Anarchist Angel's Gedankenwelt

Belletristik: Gestalten in der Gasse -3-

Vorwort

Diese Geschichte ist in Gänze fiktiv.


“Wie geht’s dir,” fragt die Große einfühlsam. “Geht so,” antwortet die Kleine, “könnte schlimmer sein.” Sie starrt auf die kleine Wunde an ihrer Hand, die sie sich am frühen Morgen zuzog. Die Große schmunzelt und verschränkt die Arme, bevor sie mahnend fragt: “Und was haben wir gelernt?”, woraufhin die Kleine erst eine Weile überlegt ehe sie grinsend antwortet: “Beim Fassadenklettern Handschuhe tragen!” Auch wenn es nicht das war, worauf die Große hinauswollte, nickt sie zufrieden und muss schließlich sogar kichern. “Hey Kleine, du wirst immer schlimmer.” meint sie noch lachend. “Ich bin nicht klein!” widerspricht diese umgehend, widersprüchlich dazu streckt sie die Zunge heraus. “Ich kann dich doch nicht ‘Mittlere’ nennen,” entgegnet die Große. Gespielt entnervt schüttelt die Kleine den Kopf. Doch sie hat nicht ganz Unrecht. Die Kleine wurde die letzten Wochen immer größer, unabhängiger. Oft verbringt sie den ganzen Tag ab von der Großen, mit ihren eigenen Freund:innen oder Beschäftigungen. Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das von der Großen vor der Welt da draußen beschützt werden muss.

“Und manchmal wünscht ich mir, es wär noch so..” erklärt die Große mit der Kippe im Mund, die sie sich versucht anzuzünden. Ihr Kumpel nickt, “so ist es, wenn die Kleinen langsam Flügel kriegen. Das musst du loslassen können, kannst sie nicht ewig unter deine Fittiche nehmen. Und denk mal dran, welche Freiheit du jetzt wieder hast. Was ist mit dem Kerl den du abgesägt hast, weil du nich mit ihm vögeln wolltest wenn die Kleine in der Nähe ist? Jetzt geht das alles wieder, hm?” Doch dafür hat die Große keine Nerven, entsprechend schroff weist sie die Aufmunterungsversuche zurück. “Der Kerl war’n Arschloch, das war doch nicht wegen der Kleinen..” Unnachgiebig versucht es ihr Kumpel weiter. “Aber es gibt doch noch andre Kerle. Und Frauen!” Die Große schnaubt etwas Rauch durch die Nase und hebt die Schultern. “Darum geht’s doch gar nicht.” meint sie schließlich geschlagen und erklärt: “Ich will sie einfach beschützen können, sie streunt den ganzen Tag irgendwo rum, gerät in Schwierigkeiten, wird verletzt!” Sie zieht wieder an der Kippe, wendet den Blick zur Seite. “Ich will doch nur für sie da sein.” Nach einigem gegenseitigen Schweigen meint ihr Kumpel: “Bist du doch auch, wann immer sie dich braucht. Aber sie braucht dich nunmal nicht mehr immer. Sie wird erwachsen.”

Als die Kleine ’nach Hause’ kommt, schaut die Große ihr lächelnd entgegen, ehe sie sich wieder ihrem Krams widmet. Die Kleine bleibt mit gerunzelter Stirn stehen. “Fragst du gar nicht wo ich war?” provoziert sie selbige Frage. Die Große aber schüttelt nur den Kopf “Du bist so gut wie erwachsen, du wirst schon wissen, wo du dich rumtreibst.” Ganz leicht fällt ihr der Spruch nicht, so schaut sie die Kleine gar nicht an und bemerkt nichteinmal, dass diese auf sie zukommt. Erst als sie sich neben sie setzt, schreckt sie kurz auf und schaut ihr in die Augen.

“Aber du bleibst meine große Schwester, oder?” fragt die Kleine schon fast bekümmert. Die Große muss ein, zwei mal blinzeln, ehe sie antworten kann. Dann lächelt sie und legt ihren Arm um die Kleine. “Na klar, du bleibst immer meine kleine Schwester, egal wie groß du wirst.”

January 11, 2022

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