Vorwort
Diese Geschichte ist realen Geschehnissen nachempfunden. Während Details also abweichen können, kann sie durchaus als dokumentarisch betrachtet werden.
“Wakki?” rufe ich ungläubig übern Hardi. Benebelt vom Alkohol und einem Cocktail anderer Drogen, die in meinem Blut kreisen und Streiche mit meinem Kopf spielen. Ist nur ’ne fremde Frau, blond und ähnlicher Stil, aber niemals könnte es sie sein. Aber sie dreht sich um. Und sie bleibt stehen. Sie schaut mich an, eindringlich. Ich schaue zurück. Sie hat ähnliche Augen, zumindest rede ich mir das ein. Wunschdenken, wie schon hunderte Male zuvor. “Kiki?”
Kurzschluss im Kopf. Habe ich das gehört? Welche Droge war das? Welche Kackophonie an Gedanken ergab den Eindruck, sie häbe das gesagt? Welcher Lug und Trug, den ich mir selbst bereite, verarscht mich?! “Kiki bist du..?”
Sie erkennt mich. Plötzlich wird es ruhig im Kopf. Ich stehe auf, als wäre ich nüchtern. Als hätte die Kälte mir nicht über die letzten Stunden die Pfoten und Füße steif und taub gefroren. Als hätte ich die körperlichen und emotionalen Schmerzen nicht mehr. Da stehe ich und schau sie an, frage sie erneut, diesmal fast flüsternd: “Wakki?” Jetzt steht sie vor mir, wir schlossen zueinander auf. Alles Einbildung, bestimmt. Sie stinkt nicht nach Straße, das kann sie nicht sein. Ich rieche noch authentisch, denk ich, und doch vergräbt sie ihr gesicht in meiner Brust. Und bevor ich mir wieder den Zweifel einreden kann überkommt mich das Gefühl der schwesterlichen Liebe. Die Vertrautheit und Wärme, die sie mir schon immer schenkte. Sie rettete mir das Leben und machte es zugleich schmackhaft. Immer wenn sie da war, fühlte ich mich sicher und behütet. Wir gingen durch Himmel und Hölle. Wir schrammten gemeinsam am Tod vorbei in schier unglaublicher Häufigkeit und ließen kurz darauf euphorische Höhepunkte folgen. Wir gingen durch dick und dünn, behielten immer einander im Auge und doch den Respekt voreinander. Und jetzt ist sie wieder da? Jetzt ist sie wieder da. Ich grunze. Es bricht aus mir heraus und ich rotze sie fast an. Mit zittriger Stimme stammle ich “Ich dachte du wärst tot.”
Sie hält mich an den Schultern und schaut mir ins Gesicht, Tränen in den Augen und den Mund leicht geöffnet. “Ich dachte du wärst tot! Du warst nicht mehr da.. und ich hörte von der Grippe..” Ich wäre damals fast gestorben. Die Grippe raffte mich dahin, Lungenentzündung, Blut husten, und keine Motivation weiterzuleben. Die Kälte des Winters und noch schlimmer die Kälte des Alleinseins ließen mich fast aufgeben. Aber ich kämpfte doch noch. Und ich überlebte - und verschwand von der Straße. So wie sie verschwand, als sie einen Freier bediente, mit ihm ins Auto stieg und nie wieder kam. Bis jetzt.
Sie in meinen Armen zu spüren, ihre Wärme und Liebe zu erfahren. Unsere Lippen treffen sich. So überwältigend alle Emotionen sind, so zärtlich ist der Kuss. Die Welt um uns herum verblasst zu einem generischen Rauschen an Nonsens. Nur wir beide existieren noch. Ich muss lachen, meine “ich würde dich am liebsten hier und jetzt flachlegen, mitten auf der Straße!” Sie erwidert das Lachen, im herzlichen Gackern wie sie es immer tat: “Trauste dich eh nich.” fordert sie mich heraus. Kurz darauf liegen wir beide waagerecht. Sie weiß, dass ich zu meinem Wort stehe. Ihre Begleitung ist längst im Rauschen untergegangen, und wir sind dabei, wieder unzertrennbar zu werden. Ein Hupen reißt sich aus dem Rauschen, ich schaue in helles Scheinwerferlicht zu meiner linken. Ein Taxi will die Taxispur nutzen, die wir belegen. “Scheiße verpiss dich!” schnauze ich den Fahrer an, bevor mein Blick sich wieder vor richtet auf die kalte Straße. Die kalte Straße? Nur Asphalt? Wo ist..?
“Hallo? Alles in Ordnung bei Ihnen?” Mich packt eine behandschuhte Hand und mehr Lichter leuchten mir Verschwommenheit in die ebst noch vorhandene Klarheit. Ich kneife die Augen zusammen und nur gelegentlich auf, während ich zur Seite gezogen werde. Mit allen Bemühungen erkenne ich nur den Schriftzug “POLIZEI”. “Geht schon!” zedere ich und reiße meinen Arm zu mir, bevor ich mich schnell abwende und ein paar Schritte auf den Fußgängerweg stolpere. Ich drehe mich nicht um. Ich suche sie nicht. Ich kann nicht schnell genug von hier weg.