Vorwort
Diese Geschichte ist von realen Gegebenheiten inspiriert und drückt Emotionen aus, die ich so schon gefühlt und gelebt habe. Dennoch ist die Geschichte selbst fiktiv und die handelnden Personen frei erfunden.
Mit einem lauten Knall donnert der Stuhl zu Boden, die Beine voran. Doch er hält, zumindest das erste mal. Beim zweiten Hieb bricht das erste Bein, und nach dem dritten halte ich schließlich nur noch die zerborstene Lehne in der Hand. Wütend werfe ich sie gen des Fensters, sie prallt ab und fliegt quer durch die Zelle. “Ich will frei sein!”, schreit es in mir, “lasst mich raus!”, schreie ich hingegen.
Während sich meine vor Wut verkrampften Arme daran machen, das Bettgestell in Einzelteile zerlegen zu wollen oder es mindestens von der Wand abzureißen, öffnet sich die Sichtblende hinter mir. Das Gestell rührt sich nicht, so müssen die Überreste des Stuhls erneut hinhalten und diesmal andersherum durch die Zelle segeln.
Dabei erblicken meine Augen ihre, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ich drehe mich schon wieder weg, dem festgeschraubten Tisch zu, den ich mit beiden geballten Fäusten zu zertrümmern versuche. Doch ihr Blick haftet an mir und ich spüre ihn in meinem Rücken. Ein Blick von Besorgnis. Er zwingt mich, innezuhalten. Ich schließe meine Augen, schlucke beschwerlich, da quietscht die Durchreiche der Tür.
“Jenny?” fragt sie vorsichtig. Ich reagiere nicht, bin wie angewurzelt. “Jenny..” wiederholt sie meinen Namen ruhig. Es beruhigt mich, wie sie ihn ausspricht. Ich zögere, doch drehe ich meinen Kopf über die Schulter. Ihr Gesicht ist wegen der Tür nicht zu sehen, nur die Augen durch die Sichtblende. Ihre Hände ruhen auf der Durchreiche. Ein Angebot. So wendet sich mein verschwitzter Körper zu ihr und ich schreite langsam zur Tür. Wieder schließe ich die Augen für einen Moment, ein zittriger Atmer entfährt mir als ich meine Hände an die Durchreiche lege. Es reißt mir die Augen wieder auf, als sie die ihren auf meine legt, sie zart umschließt. “Brauchst du einen neuen Stuhl?” fragt sie mich. Unfähig zu sprechen nicke ich nur langsam, den Kopf gesenkt. Ich schaue dann hoch zur Sichtblende, und es muss ein schuldvoller Blick gewesen sein, denn der ihre wird noch besorgter, mit einem leichten Stirnrunzeln. “Vorbei?” fragt sie und lässt ihre Hände von meinen gleiten. Wieder nicke ich nur und nehme auch meine Hände zurück. Die Durchreiche und die Sichtblende schließen sich. Danach das vertraute Klicken des Türschlosses.
Die doch etwas zu schwere Tür öffnet sich und die Wärterin verschafft sich einen kurzen Überblick über das von mir veranstaltete Chaos. Instinktiv trete ich einen Schritt zurück, denn ich bin verurteilte Gewaltstraftäterin. Gefährlich. Sie seufzt, wirkt erleichtert, dass nur der Stuhl meinem Wutausbruch zum Opfer fiel. Wie schon oft zuvor. Sie beugt sich nach der Lehne in der Ecke, um sie aufzusammeln. Ich möchte helfen, sammle beschämt eines der Stuhlbeine auf.
Da schrickt sie auf und dreht sich sprunghaft zu mir um, die Hand an ihrem Schlagstock. Gewaltstraftäterin, erinnert mich mein Gehirn schroff und ich lasse das Stuhlbein fallen, die Handflächen offen und die Hände hochhaltend. Nun schießen auch noch Tränen in meine Augen. Ich wollte ihr doch keine Angst machen! “Ich mach das.” meint sie überraschend sanft, als lese sie in meinen Gedanken. Wieder nicke ich nur stumm. Sie deutet mit der Handfläche auf die Tür, ich gehe also voran gen des Gemeinschaftraumes. Es ist schon mitten in der Nacht, da dürfen wir nicht mehr auf den Fluren sein. Aber ich schätze das ist eine Ausnahme. Sie führt mich zu einer Wand mit einer Querstange daran. Dort setze ich mich auf einen Stuhl und nur Sekunden später klicken die Handfesseln. Es ist wohl sicherer so, ich bin ihr nicht böse. Als sie um die Ecke verschwindet, atme ich einmal tief durch und lasse meinen Kopf nach hinten fallen. Ich bin müde, hatte bereits geschlafen. Doch wachte ich mitten in der Nacht auf und.. und wollte frei sein.
Wenige Momente später geht sie an mir vorbei, ihre Schlüssel rasseln bei jedem Schritt ein wenig. Sie bringt meinen Ex-Stuhl in Häufchenform zu einer verschlossenen Tür. Zugangsbeschränkter Bereich. Sie darf den Block nicht verlassen, muss also klopfen. Die Tür öffnet sich, eine müd aussehende Dame mittleren Alters in selbiger Uniform schaut heraus. Sie beäugt den Stuhl und kommentiert lapidar “Schon wieder? Schon wieder sie?”, dabei lugt sie an der Wärterin vorbei zu mir. Ich schaue schnell weg, doch offenbar akzeptiert sie den Stuhlhaufen, denn besagte Wärterin steht nun wieder vor mir. “Ich bring dich jetzt zurück in die Zelle, dann hole ich dir noch einen neuen Stuhl.” Ich hätte mich oder sie fragen können, ob das nicht bis morgen warten kann, denn um drei Uhr nachts brauche ich wohl keinen Stuhl. Doch wie immer nicke ich nur, ohne ein Wort zu sagen. Sie öffnet die Handfesseln, ich reibe mir das betroffene Handgelenk, ehe ich aufstehe und zu meiner Zelle zurückkehre. Die Tür steht bereits offen für mich, ohne weiteres steuere ich mein Bett an und leg mich hinein. Es ist nicht sonderlich bequem, aber nach so einem Stress erscheint es mir wie eine Wolke, in die ich mich bette. Ehe ich ganz in die Horizontale komme rummst die Tür. Ich schaue direkt auf die Stelle, an der ich eben noch mit dem Stuhlbein stand. Hinter ihr. Wie dumm ich war, was die arme wohl gedacht hat? Sie wird sich sicher selbst dafür geißeln, so fahrlässig mit einer gemeingefährlichen Gewalttäterin umgegangen zu sein. So nannte mich der Richter bei der Anordnung der Haft. Ich hätte sie schwer verletzen, vielleicht gar erschlagen können. Nichts läge mir ferner.. aber sie hatte offenbar die Angst.
Wieder öffnet sich die Tür, ein mittlerweile unangenehm grelles Licht kommt vom Flur hineingestrahlt. Geblendet und im Gegenlicht erkenne ich nur ihre Silhouette. Und die eines Stuhles. “Hier.” meint sie und stellt den Stuhl sanft an den Tisch, während ich blinzelnd versuche sie richtig sehen zu können. Sie schaut nochmal zu mir im Bett, und sie lächelt mich an.
Ehe sie die Tür hinter sich schließt und mich für die Nacht einsperrt, lächelt sie nochmal und meint fast mütterlich zu mir “Jetzt aber, gute Nacht.”