Vorwort
Diese Geschichte ist von realen Gegebenheiten inspiriert und drückt Emotionen aus, die ich so schon gefühlt und gelebt habe. Dennoch ist die Geschichte selbst fiktiv und die handelnden Personen frei erfunden.
Wiedereinmal rasen die Gedanken durch meinen Kopf. Du schaffst es nein es ist zu viel doch es muss ja gehen und mit jedem Tag kommt die Entlassung näher aber es sind noch so viele Tage aber mit jedem Tag einer weniger und doch noch so viele und scheinbar unendliche und es wird immer schlimmer nein du lebst dich doch langsam ein aber ja genau das ist das schlimme ich weiß schon gar nicht mehr wie es ist nicht hier drin zu sein und - SCHLUSS! Schreie ich mich selbst innerlich an. Reiß dich zusammen, sage ich mir selbst. Meine Hände zittern, längst zu Fäusten geballt. Mein Blick richtet sich durch das leicht trübe Fenster, zwischen den Gitterstäben hindurch auf die völlig unspektakuläre Nebenstraße. Ich versuche, die Flut aus Gedanken zu bremsen, da erspähe ich eine Person. Eine freie Person, die die Straße entlanggeht. Undankbar fr ihre Freiheit, undankbar für ihr Privileg, das mir entzogen wurde! Da packt es mich. “FREIHEIT!” rufe ich und meine Faust rast dem Fenster entgegen, die Scheibe zerbirstet in scharfkantige Scherben. Meine Faust wird von den eisernen Gitterstäben abgefangen, erschrocken blickt der Fremde zu mir. “Ich will Freiheit!” rufe ich ihm wütend entgegen. Schnell tapselt er davon. Ignoranz. Hohn! Meine rechte Hand blutet. Doch spüre ich in Rage keinen Schmerz, greife stattdessen den Stuhl vor mir. Mit voller Wucht entglase ich damit den Rest des Fensters. Dann schmettere ich ihn auf den Tisch vor mir, der krächzend seine Kante verliert. Ich halte nur noch die Lehne des Stuhls in der Hand, habe soeben einen Hocker erschaffen. Doch auch der Hocker hält nicht lange: am Stuhlbein gegriffen schleudere ich ihn gegen die stählerne Zelltür, die dies mit einem beachtlich lauten Knall quittiert.
Wie auf Aufruf öffnet sie sich, zwei Wärterinnen stürmen auf mich zu. Noch völlig getrieben vom ungestillten Drang nach Freiheit trete ich nach ihnen, ein Schlag trifft mich am Unterschenkel. Zurückweichen kann ich nicht, ebensowenig fliehen. Es heißt Erstarren oder Kämpfen. Und ich erstarre nicht im Anblick der Furcht. Ich schwinge mich rückwärts auf den Tisch und trete mit beiden Beinen nach den zweien. Die Glasscherben knirschen unter meinem Gesäß und ich spüre kurz darauf stechenden Schmerz an selbiger Stelle. Wütend schreie ich auf, gerade als eine mich am Fuß packt und vom Tisch zieht. Mein Kopf schlägt zunächst auf den Tisch, dann auf den scherbenübersäten Boden. Ich bin leicht benommen als die andere sich auf mich stürzt, nach meinen Armen greift. Ein Kampf um Leben und Tod, so scheint es in dem Moment. Ich entreiße mich ihren Griffversuchen und teile aus, gleich drei Schläge auf ihr Gesicht. Ihr Oberkörper entfernt sich ein wenig von mir, doch ehe ich mich eines Sieges wägen könnte trifft mich der Schlagstock quer auf die Wange. Mein Kopf dreht sich unweigerlich nach rechts, weg von dem Schlag. Wie wildgeworden fuchtle ich mit meiner linken Faust nach der Trägerin des Schlagstockes, doch ich treffe nichts. Nur der Schlagstock ein zweites mal, diesmal meinen Arm. Schmerzerfüllt ziehe ich ihn zu mir, die Niederlage ist nah. Schon spürte ich ein Knie im Nacken, das mir fast die Luft abdrückt. Wenigstens liegt mein Gesicht unter dem Tisch, wo keine Scherben sind. Ihre Kollegin greift meine Arme, dreht mich auf den Rücken. Klick, klick. Niederlage. Keine bleibenden Schäden, sagt der Arzt, aber es ginge ein erhöhtes Gefahrenpotential von mir aus. Danke für die Einschätzung, Doc. Durch die Aktion verpasste ich das Frühstück, umsowichtiger jetzt rechtzeitig zum Mittagessen zu kommen. In Handschellen werde ich zum Gemeinschaftsraum geführt. Die anderen essen schon, einige blicken zu mir. Ich sehe besorgte, verächtliche und verängstigte Blicke. Eine gesunde Mischung. Ich werde an einen einzelnen, provisorischen Tisch gesetzt. Die Wand zu meiner Linken hat eine granz praktische Eisenstange mit Ösen. Ich werde platziert, nahezu in den Stuhl gedrückt. “Können wir dir Besteck anvertrauen oder müssen wir dich füttern?” fragt eine Wärterin, ernst. Ich erwidere mit einem ebenso ernsten aber doch deutlich gehässigeren Blick. Die Wärterin seufzt leise und entfernt die Handfessel von meiner rechten Hand, macht mich dafür mit ihr an der Öse zu meiner linken fest. Kurz darauf erhalte ich ein Tablett, es gibt Kasseler.
Ich wage noch einen Blick nach rechts, immernoch sehe ich hin und wieder Blicke auf mich gerichtet. Und nicht nur Blicke, auch Gespräche scheinen sich um mich zu drehen. Ich schlucke gerade den letzten Bissen, als ich vernehme, dass eine Mitinsaßin “es geahnt hätte”. “Jetzt ist sie ausgetickt” heißt es, die andere erwidert dass es ja nur “eine Frage der Zeit” gewesen sei. Ich seufze und gebe einfach vor, nichts gehört zu haben. Nach und nach stehen meine Mitinsassinen auf, das Mittagessen ist beendet. Zwei bleiben sitzen, um sich zu unterhalten. Ich höre die Dusche aus dem nahen Badezimmer. Doch da sitzt noch wer. Bettina. Sie sitzt am langen Ende eines Tisches, seitwärts zu mir. Sie ist mehr als gut gebaut, groß und mit einer Ausstrahlung als würden selbst die Wärterinnen ihre Befehle befolgen. Und sie schaut zu mir. Nicht offensichtlich, eher aus dem Augenwinkel. Aber doch offensichtlich, denn sie sitzt als einzige allein. Ich schaue zurück.
“Hat’s gemundet?” fragt mich eine Wärterin von hinten. “War okay.” sage ich, ohne mich zu drehen. Das Tablett wird entfernt, beiläufig meint sie “deine neue Zelle ist gleich fertig.” Ob die hier in diesem Block ist? Oder meint sie.. nein, doch nicht wegen einem mal. Nein es muss eine normale Zelle sein. Ich bekomme Panik. Es darf nicht die Isolationszelle sein. Erhebliches, nein, erhöhtes Gefahrenpotential? Verdammt, erklären sie mich jetzt für komplett verrückt? Hitze steigt in mir auf, meine Hände ballen sich zu Fäusten und die Kettenglieder der Handfesseln spannen sich, als ich mehr und mehr daran ziehe. Eine Hand packt mein rechtes Handgelenk, schnell und fest, um mir die Hand auf den Rücken zu drehen. Mein Oberkörper wird nach vorn gedrückt, und doch von meiner gefesselten linken Hand zurückgezogen. Die Verrenkung schmerzt, ich drücke das mit einem gequälten Ächzen aus. Sie entfernte die Fessel von der Stange, dafür klickte es an der rechten Hand wieder. “Aufstehen.” sagt eine mir unbekannte Stimme im Befehlston. Ich folge, will hier ja eh nicht sitzenbleiben. Bevor ich Richtung Zellen geschoben werde, wende ich nochmal Bettina meinen Blick zu. Nun schaut sie ganz offen, interessiert, besorgt? Göttinseidank, es ist eine normale Zelle. Hallelujah. Sie enthält jedoch keinen Stuhl. Fair, gestehe ich mir ein. Den Rest des Tages bleibe ich eingesperrt, das Abendessen wird in die Zelle gebracht. Doch Hunger habe ich keinen und die Ruhe ist mir auch recht, ich habe noch nichts von alldem verarbeitet.
“Frühstück!” Trällert eine fröhliche Stimme in die Zelle hinein und lässt die Tür offen. Verschlafen reibe ich meine Augen. “Frühstück!” höre ich es leiser an der Nachbarzelle. Verwundert schaue ich zur Tür. Wir konnten uns tagsüber frei bewegen, nichts ungewöhnliches. Und doch fühlte es sich nach dem Vorfall gestern seltsam an. Misstrauisch tappste ich zur Tür und wagte einen Schritt hinaus. Boxershorts, weißes T-Shirt und ungewaschene Haare. Nach dem Frühstück werde ich ersteinmal ausgiebig duschen, nehme ich mir vor. Da fällt mir eine Mitinsassin auf. Sie steht im Gang, doch ging sie gerade noch gen des Essensraumes. Sie blieb stehen, gut fünf Meter von mir entfernt. Unsicher schaut sie mich an, ebenso unsicher ich zurück. Schließlich setzt sie sich wieder in Bewegung, auf mich zu doch nicht wirklich. Sie schleift fast an der Wand entlang um größtmöglichen Abstand zu mir zu halten. Ungläubig verfolge ich sie mit meinem Blick, ehe ich mir etwas überzog und auch zum Frühstück ging. Diesmal ohne Handfesseln.. und aus eigenen Stücken am Einzeltischchen, das immernoch stand. Das unangenehme Frühstück verdaut mache ich mich auf den Weg zum Badezimmer. “Muss noch wer auf Klo?” rufe ich, denn das kann jetzt eine Weile dauern! Zufrieden ob der Stille gehe ich in den Baderaum und schließe die Tür hinter mir ab. Privatsphäre, puh. Erst als ich mich das zweite mal umdrehe, sehe ich eindeutig jemanden hinter dem Duschvorhang stehen. Bettina gibt sich zu erkennen: “Wir müssen reden. Über das, was gestern passiert ist.” meint sie streng. Erschrocken keife ich instinkiv zurück “Das geht dich überhaupt nichts an!” Stille. Sie kommt einen Schritt auf mich zu. “Nein, wirklich. Wir müssen reden, das kann so nicht weitergehen.” Kleinlauter antworte ich: “Es.. das geht dich nichts an!” doch Widerstand scheint zwecklos. “Gehst du nächstes mal mit so einer Scherbe auf die Wärterinnen los? Du spinnst doch!” fährt sie mich an. Danke für die Einschätzung, Doc. Am liebsten würde ich ihr das ganz cool sagen. Aber ihre bedrohliche Statur baut sich gerade vor mir auf, nicht nur ihre Jeans sind ‘ripped’. So rutscht mir das Herz eher in die Hose als ins Maul. “Ich mein das nicht böse”, ergreift sie wieder das Wort, “ich meine nur, du musst dich in den Griff kriegen, bevor sie dich in die Iso stecken. Oder dich für geisteskrank erklären. Das machen die hier so..” wird sie ruhiger, ihre tiefe Stimme summt zuletzt fast. Bedrückt schaue ich weg. Sie hat nicht Unrecht. Aber was bitteschön ist ‘in den Griff kriegen’? “Ich weiß” beginne ich meine Ausfluchtsansprache. “Aber ich vermisse die Freiheit so sehr, einfach.. rauszukönnen. Mir ne Pommes zu holen oder sich mit den Kumpels zu treffen. Mal einen zu saufen oder den Sonnenuntergang am Bahndamm anschauen..” nun werde ich fast weinerlich “Das alles sind so fremde Erinnerungen geworden, so unvorstellbare.. weit entfernte Dinge.” Bettina nickt langsam, als mir Tränen in die Augen schießen und ich Schlucken muss. “Ich weiß,” sagt sie nun auch. “mir ging es ja nicht anders. Aber du hast hier eben andere Erinnerungen. Die Spiele, die wir spielen. Die Dinge, über die man redet.. und so.” Ich blicke zu der zwei-Meter-Frau auf. Eben noch war ich die gefürchtete Schlägerin, jetzt die kleine Heulsuse. Aber wieder muss ich ihr Recht geben, auch wenn die Heulerei mir gerade das Sprechen verbittet. “Na komm” meint Bettina einfühlsam, ehe sie ihre Arme sanft um mich schließt. “Es ist einfach, nur das zu sehen, was der Knast einem nimmt. Aber irgendwie.. gibt er uns auch was. Konzentrier dich darauf, dann ist es hier nur halbsoschlimm.” erklärt sie mir, während sie mir sacht den Rücken streicht. Als ich mich etwas beruhige und wieder zu ihr schaue grinst sie kurz. “Die Dusche ist aber überfällig, Fräulein.” Ich muss lachen. Eher grunzen.. und rotze mir dabei noch das Gesicht voll. Schwächer und blamabler hätte ich mich ihr nicht präsentieren können. Ich gehe zum Rand der doch recht großen Dusche, ziehe mein Shirt aus. Abschließen, mist. Das muss ich ja wieder, nachdem Betti ging. Ich drehe mich also wieder um und- sie hat auch ihr Shirt ausgezogen, plante wohl gar nicht zu gehen. Ich bin etwas.. verblüfft, gelinde gesagt. Doch sie nickt nur zur Dusche, ihre lässige und doch befehlsgebende Art gab mir zu verstehen, dass wir wohl gemeinsam duschen werden. Strengstens verboten. Ich grinse, als ich BH und Hose von mir nehme. Da sitzen wir also in der Dusche auf dem Boden, im Schneidersitz voreinander. Der Duschkopf ist möglichst breit und heiß eingestellt, mehr ein Dampfbad als eine Dusche doch wir wollen schließlich beide was vom Wasser. Wir fangen an, uns Geschichten zu erzählen. Von draußen, aber auch von drinnen. Ich erzähle vom kleinen, rundlichen Arzt, der mit näselndem Ton meine Gefährlichkeit betonte. Sie erzählt mir, wie sie mal versehentlich eingesperrt blieb. Wir lachen und würden wohl am liebsten ewig so weitermachen, da klopft es streng an die Tür. “Frau Lohmeyer?” ruft es durch selbige. Bettina beißt sich auf die Unterlippe, ehe sie antwortet “Ja?” Doch die Stimme fragt dann nach mir. “Frau Hasler?” Ich zucke zusammen, als erwarte ich Schläge. Doch schließlich gebe ich auch zu, ich sei “Ja.. anwesend.” “Raus! Sofort, und zwar beide!” ruft es in aller Strenge. Immerhin benutzt sie nicht ihren Schlüssel um uns auf frischer Tat zu ertappen, denke ich mir. Ich stehe auf und stell die Dusche ab, beim Hinaussteigen gibt mir Bettina einen Klaps auf den Hintern. Ein bisschen entgeistert starre ich sie an doch sie schaut nur ganz zufrieden.. und wir beide lachen. “Nicht trödeln, anziehen!” ruft die verärgerte Stimme, die wohl unser Gelächter gehört haben muss. Vielleicht sogar den Klaps. Zum Glück war mein Gesicht vom heißen Wasser sowieso schon ganz rot.