Vorwort
Diese politischen Gedanken spiegeln lediglich die Einstellung zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung und nicht unbedingt aktuelle politische Einstellungen der Autorin wider.
Die Vorweihnachtszeit ist doch die schönste Zeit des Jahres, nichtwahr? Doch während einige high im Konsumrausch die Kaufhäuser stürmen oder ihre Maus auf Amazon kaputtklicken besinnen andere sich auf ihre Werte und Traditionen. Eine davon findet sich hier und heute: Die Feier des 13.12, dem internationalen ACAB-Tag! Große Parties bleiben Coronyschmony-bedingt wohl aus. Dennoch gehört der heutige Tag uns allen, die schlechte Erfahrung mit Repressionsbehörden gemacht haben. Egal ob Schutzpolizei der Länder, Bupo oder auch Geheimdienste. Heute feiern wir, dass alle die dort arbeiten, heute auf den Kalender schauen und in den Dienstrechner 1312 eintippen, wohlwissend wofür das Kürzel steht. Es ist ein Tag, an dem wir uns gedanklich mit der Polizei+ (das + bezeichnet auch Geheimdienste etc. mit) auseinandersetzen. Und ein Tag, an dem die Polizei+ es auch andersherum tut.
Ich persönlich frage mich aber, wohin der Konflikt geht. Die zunehmende Militarisierung und Autoritätsausweitung der Polizeien und Geheimdienste ist mehr als “besorgniserregend”, soetwas kennen wir aus autoritären Ländern die wir in westlicher Arroganz gern als “dritte Welt” belächeln, die in Medienproduktionen sinnbildlich für Gewalt und Unrecht herhalten müssen und das, Metawitz, auch nicht unbedingt ganz zu Unrecht. Dazu kommen unzählige “Einzelfälle”, bis der Strukturfehler vor lauter Einzelfällen nicht zu sehen ist. Wahrlich, es ist zur Zeit besonders einfach, die Polizei+ und ihre Bediensteten zu hassen. Das kann ich auch keinem absprechen. Selbst verspüre ich den Hass genauso, denn ich wurde wegen der Falschaussage eines Beamten dieses Jahr zu einer Geldstrafe verurteilt, die ich nur dank solidarischer Genoss:innen nicht im Gefängnis absitzen musste. Aber moment, nur Genoss:innen? Tatsächlich bekam ich auch Spenden und Zuschriften aus unerwarteter Ecke: Von Polizist:innen!
Sie empörten sich über das Verhalten ihres Kollegen, wünschten mir Kraft und halfen tatkräftig mit dem Abbezahlen, wie meine Genoss:innen. Das brachte mir viel Nachdenken ein, der Grund warum das ganze losgetreten war, war schließlich mein gut sichtbarer ACAB Aufnäher. Ich kam für mich zum Schluss, dass der Ausdruck “ACAB” in seier polittheoretischen Ur-Fassung, nämlich dass auch gute Menschen gegen ihren Willen, die “guten Cops”, durch das hierarchische System zu Komplizen der Arschloch-Cops gemacht werden, zwar korrekt ist.. aber das nicht wirklich kommuniziert. Kommuniziert wird nur oberflächlicher Bullenhass. Ich entfernte deswegen meinen Aufnäher. Er hat seinen Grund, aber kein Ziel. Warum und Wozu sind verschiedene Fragen.
Ich dachte auch über das allgemeine Verhältnis radikal Linker und Polizei+ nach. Einfach gestrickt hassen sich zwei Seiten und fertig. Differenzierter betrachtet bedeutet das aber auch, Chancen liegenzulassen und im Nachhinein über das oder wegen des Pfeffersprays im Gesicht rumzuheulen. Und versteht mich nicht falsch: “Die Polizei” wird niemals reiner Freund und Helfer sein. Niemals wird die Polizei “Bürger:innen” beziehungsweise Menschen und deren Rechte perfekt schützen und achten. Das erreichen wir erst mit deren Abschaffung. Aber die ist in weiter Ferne. Die Autoritätsstruktur ist da und wird stärker. Der Hass und unser Unwille, sich damit differenziert auseinanderzusetzen bedeutet, dass sie von Menschen besetzt wird, die uns genauso hassen wie wir die Struktur. Das macht uns zum Teil des Problems. Das Rassismus- und Rechtsradikalenproblem bei der Polizei ist nicht unsere Schuld, aber auch wir tragen dazu bei, indem wir Linkssein und Polizist:insein als unvereinbaren Widerspruch erklären, in einem Drang nach Purität in der Umsetzung unserer Ideologie. Aber wenn ich was in meinem durchaus harten Leben gelernt habe, dann ist es, dass du im Leben nichts erreichst und nichts verbessern kannst, wenn du Angst hast dir selbst die Finger schmutzig zu machen. Das wird gern als Legitimierung für Sabotage- oder Einschüchterungsaktionen genommen und ist so auch unter Umständen durchaus moralisch vertretbar (Es bleibt eine Einzelfallabwägung). Perfekt saubere Westen haben nur Privilegierte, nach derem Ebenbild die Gesellschaft autoritär erzwungen wird.
Ich habe mittlerweile genug Erfahrungen mit Polizei und Co. um zu wissen, dass die persönliche Einstellung eines Einzelbeamten oder einer Einzelbeamtin durchaus einen starken Effekt auf die Situation hat. Ich war schon bei Neonazis in Gewahrsam, bei rechten Arschgeigen und bei Leuten die ich eher als progessiv beschreiben würde. Alle trugen die gleiche Uniform, aber mir gings in den drei Situationen sehr unterschiedlich. In der ersten Erfuhr ich viel Gewalt, in der zweiten eine falsche Anzeige und in der dritten war eigentlich alles nach ner Stunde vorbei und wir verabschiedeten uns mit Witzen. Und wenn es genug positive “Einzelfälle” gibt, dann tut das einem Strukturwandel sicher auch nicht ab. Sicher mag es polittheoretisch valide sein gegen Parlamentarismus und “Übernahme der Strukturen” zu argumentieren, und das lässt sich auch auf Polizei+ übertragen. Aber in der Praxis lässt sich der Effekt unterschiedlicher politischer Ideologien in diesen Systemen nicht leugnen. Sonst gäbe es auch kein Rechtsradikalismusproblem in der Polizei, das funktioniert nämlich in beide Richtungen.
Was will ich damit sagen? Bullenhass ist berechtigt, aber nicht zielführend. Verhaltet euch fair gegenüber uniformierten. Skeptisch, unkooperativ in Maßnahmen etc. Anna und Arthur, die ganze Chose kennt ihr und die gilt uneingeschränkt. Nur bringt ihnen keinen unberechtigten Hass entgegen. Lobt vielleicht sogar vorbildliches Verhalten. Oder, ganz crazy, bewerbt euch doch einfach selbst. Unser Land kann Linke Polizist:innen wohl brauchen wie kaum ein anderes. Ja, ihr werdet ggf. eine Antifa-Demo auflösen müssen weil’s euer Vorgesetzter will. Ihr würdet vielleicht sogar ein Haus räumen müssen. Aber zwischen diesen maximal beschissenen Situationen könntet ihr ein Dutzend Fälle Polizeigewalt verhindern, Menschen bei häuslicher Gewalt helfen oder z.B. sexuelle Belästigung ernst nehmen - anders als viel zu viele “Kollegen”. Ist eine Abwägungssache, ich will jetzt auch nicht im Sinne der Pozilei rekrutieren.
Sagen will ich eigentlich nur, die ganze Lage ist beschissen und kompliziert. Und es lohnt sich, darüber nachzudenken. In Theorie und Praxis. Dabei wird unzweifelhaft Hass aufkommen, besonders wenn wir an die Mordfälle durch Polizist:innen denken. Aber Hass darf nie der Punkt sein, an dem wir aufhören zu denken. Wir wollen nicht eine Spiegelseite eines Konflikts sein, die einen nicht besser als die andren. Zumindest ich habe den Anspruch an uns, besser zu sein. Vernünftiger, friedlicher, menschlicher. Und das ist manchmal verdammt schwer. Und ich will hier auch nicht mich darstellen als hätte ich alle Antworten oder wäre weiser als andere hier, vielleicht denke ich morgen schon wieder anders über das alles hier.
Ich hoffe einfach, dass wir für die Zukunft Lösungen finden. Weil ich verdammt Angst habe, dass wir irgendwann im Bürgerkrieg stehen. Noch wirkt es wie eine ferne, irrationale Angst. Aber nach jeder “linken” Regierung kommt ein rechter Backlash. Das sehen wir überall in der Welt, das wird auch hier nicht anders sein. Und bis dahin werden Staats- und Polizeiautorität weiter ausgebaut sein. Irgendwann entzündet der Konflikt sich offen. Vielleicht, auf gut schwäbisch gesagt, langt’s mir no naus und ich sterbe bevor es soweit ist. Aber ich will kein Pulverfass von Welt hinterlassen.
Aber genug von meiner Seite, mummelt euch warm ein und genießt euren Tag!