Vorwort
Diese politischen Gedanken spiegeln lediglich die Einstellung zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung und nicht unbedingt aktuelle politische Einstellungen der Autorin wider.
Von offizieller Seite heißt es oft, dass eine Polizeikritk und die Forderung nach der “Abschaffung” oder “Entfinanzierung” (defunding) der Schutzpolizei automatisch eine “extremistische”, demokratiefeindliche Haltung zeige. Diese Linie unseres Staates findet sich in Medien, Mitteilungen, Bildungsmaterialien und sogar in einem Artikel, der Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg als vermeintlich linksradikale Propaganda darstellt. Nicht etwa in rechten Verschwörungsmagazinen, sondern auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), geschrieben vom Politikwissenschaftler G.A. Strohmeier.
Ich las den Artikel und seufzte. Ich rieb mir über die Stirn, denn ich hatte ungelogen Kopfschmerzen bekommen. Benjamin Blümchen ist antidemokratisch und erzieht Kinder zum Linksradikalismus?
Ignorieren wir zunächst mal, wie realistisch das Setting in Neustadt ist. Der Bürgermeister dort ist korrupt und machtaffin, Benjamin und Freunde sorgen sich um das Gemeinwohl. Dabei stehen ihnen wirtschaftliche Interessen gegenüber, die auf Allgemeinwohl grundsätzlich verzichten und eine Polizei bildet die vorderste Front, um Auflehnungen gegen den Bürgermeister zu vermeiden. Der Autor beschwert sich darüber, dass Benjamin und Freunde stets “die Guten” sind, weil sie die Korruption bekämpfen und per öffentlichem Druck, der durch Information der Bevölkerung über Vorhaben und Hintergründe durch die Journalistin Karla Kolumna hergestellt wird, den Bürgermeister zum Einlenken zu bewegen. Böse Kapitalisten werden so wieder aus der Stadt vertrieben. Diesen Prozess der Bürgerinformation und des zivilen Engagements verunglimpft Strohmeier als undemokratisch, indem er ihn kontrastiert mit dem “langwierigen (demokratischen) Entscheidungsprozess” der Stadtratsbeteiligung bei der Entscheidung des Bürgermeisters. Strohmeier hat hier einen Punkt: Ein Alleinentscheider, der nach Lust und Laune Entscheidungen treffen kann, ist undemokratisch. Er verfehlt diesen Punkt aber vollständig, wenn er dies Benjamin Blümchen und Karla Kolumna zum Vorwurf macht, denn es ist der Bürgermeister, der undemokratisch agiert. Und zwar sowohl in der Umentscheidung auf öffentlichen Druck hin als auch in der vorher klandestinen Entscheidungsfindung mit Wirtschaftsinteressenten unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Demokratisch wäre die Beteiligung aller Betroffenen von Beginn an.
Absurd wird es, als Strohmeier kritisiert, dass die Lösungen zum Gemeinwohl fast alle “links der Mitte” gefunden werden. Dies wird in der Serie nie explizit gesagt. Benjamin und seine Freunde sind allesamt in der mittellosen Unterschicht bis zum Mittelstand zu verorten. Der sozioökonomische Status eines sprechenden Elefanten, der zur Untermiete in einem Zoo lebt, lässt sich nur schwer bestimmen, doch wird öfter thematisiert, dass Benjamin über kein großes Kapital verfügt, keine Verbindungen (Auch eine Form von Kapital) in politische oder großwirtschaftliche Milieus hat und sich vorrangig mit Menschen geringen sozioökonomischen Standes abgibt. Kurz gesagt sind die Protagonisten Proleten und Benachteiligte im großen Schema der Politik. Die resultierende Politik, die sie verfolgen, ist selbstverständlich links. Die Protagonisten denken nicht an Politikwissenschaften, an Vordenker:innen und Ideologien. Sie erfahren ein Problem, das ihnen von oben beschert wird und suchen eine Lösung für selbiges. Im Resultat entsteht ein praktischer Klassenkampf im kleinen Stile. Die Interessen der Proleten sind konträr zu denen derer, die sie ausbeuten und/oder über sie regieren wollen. Selbstverständlich sind in so einem Setting nur zwei Möglichkeiten der Lösung gegeben: Die Protagonisten sind erfolgreich und lösen das Problem, meist die Abwehr eines neuen oder drohenden Problems, oder es wird ein Kompromiss gefunden. Letzteres wäre oft absurd, da die auftretenden Antagonisten keinen Hehl aus ihrem Vorhaben und ihrer Abneigung gegenüber den Protagonisten, insbesondere gegenüber Karla Kolumna, machen.
Auch die Polizei kommt in Benjamin Blümchen nicht gut weg, beklagt Strohmeier. Sie werde oft als geradezu militärisch diszipliniert dargestellt, als inkompetent, ja sie “tun blind ihre Pflicht und haben nicht selten eine regelrechte Freude am Verhaften.”
Ihr müsst auch schmunzeln, oder?
Tauschen wir ein paar der Worte zu gleichbedeutenden: Die Polizei in B.B. ist obrigkeitshörig, hat wenig Handlungsspielraum und erfreut sich daran, ihre Dienstpflicht vorschriftsgemäß zu machen. Das sind Attribute, die entweder definitionsgemäß (Obrigkeitshörigkeit, wenig Handlungsspielraum) oder als Resultat entsprechend entstandener Strukturen (Freude am Verhaften) entstehen. Natürlich Freuen sich die Polizisten, jemanden zu verhaften, um dem Vorwurf der Inkompetenz und Nutzlosigkeit zu entkommen und in einer fiktiven Geschichte: den Fall damit abzuschließen.
Es stimmt also, dass die Wirtschaft und die Polizei in Benjamin Blümchen Hörbüchern nicht allzugut wegkommen, sie müssen sich viel Kritik anhören und ihnen werden oft böse Intentionen unterstellt.
Nun aber zum eigentlichen Kern der Sache: Ist das nun wertvolle politische Bildung oder gefährlicher Extremismus? Selbstverständlich ersteres.
Strohmeier kritisiert, damit werde das Vertrauen in demokratische Institutionen erodiert und eine Ablehnung des Staates gefördert. An einer Stelle unterstellt er Benjamin Blümchen gar, anarchische Prinzipien zu fördern. Wie lächerlich diese Kritik wird, wird offensichtlich, wenn wir sie umdrehen. Wie also sollte ein “unbedenkliches” Kinderhörbuch aussehen, wenn wir Strohmeiers Kritik einbinden? Benjamin Blümchen lehnt sich gegen die Politik auf und demonstriert gegen die Autobahn durch den Wald und wird von Polizisten zusammengeschlagen, die danach Karla Kolumna verhaften damit diese bloß keine ’extremistische Propaganda’ verbreiten kann? Oder die Version friedlich, bei der der Bürgermeister sein bestes gibt um mit rechter Politik den Menschen zu helfen, was nur leider leider nur nie funktioniert. Die Polizist:innen sind dann supernette Menschen, die weinen wenn sie Benjamin aus dem Zoo schmeißen, weil er seine Untermiete nicht mehr zahlen kann und Karla Kolumna bekommt tausende Zuschriften, dass mensch doch Verständnis haben müsste für den Immobilienmogul, der das Jugendzentrum planieren will. Er sei ja auch nur ein Mensch mit Interessen. Trotz all des Leids gibt es dann keine Konflikte - und damit auch keine Lösungen und keine linke Politik. Trostlos und in beiden Varianten zutiefst antidemokratisch.
Nein, was Strohmeier begreifen muss, und als Politikwissenschaftler längst hätte begreifen müssen, dass Misstrauen gegenüber Staat und Autorität nicht antidemokratisch ist, sondern ein fundamentales Merkmal der Demokratie.
Viele seiner Ansätze sind korrekt identifiziert: Die Polizei tritt sehr obrigkeitshörig und herrisch auf. Tja woran liegt das nur? Statt Benjamin Blümchen den politischen Extremismus, der bis heute nicht ordentlich umreißbar ist, zu unterstellen und die Ausstrahlung im ÖRR in Frage zu stellen, wäre hier für einen Politikwissenschaftler doch der Ansatzpunkt, politische Wissenschaften einzusetzen. Benjamin Blümchen ist ein zeitgenössisches Kunstwerk. Es beinhaltet damit den Zeitgeist, und zwar den postmodernen, wie er korrekt feststellt. Dass die Polizei in Benjamin Blümchen inkompetent, brutal und obrigkeitshörig dargestellt wird liegt nicht daran, dass etwaige Radikale B.B. schafften um Menschen von der Demokratie wegzulocken. Es liegt daran, dass zahlreiche Menschen die Polizei im echten Leben genau so wahrnehmen, unabhängig davon ob es nun ein akkurates Bild ist oder nicht. Medien mit geschlossenem Handlungsbogen, wie eigentlich alle Kinderhörbücher, neigen dazu zur Überspitzung, das ist klar. Aber gerade die Schlussfolgerung, der Polizei zu misstrauen, ist kein Merkmal eines antidemokratischen Extremismus, sondern die Förderung eines kritischen Geists, der für die Demokratie unerlässlich ist. Dasselbe gilt natürlich für den Bürgermeister.
Interessant ist auch, dass Strohmeier zwischen Protagonisten bzw. Bürger:innen und Politik kontrastiert. In einer Demokratie sind wir, der Definition nach, doch alle Politiker:innen. Zu sagen, sie mischen sich in die Politik ein, ist eine Anmaßung, die Politik gehöre dem Verwaltungsapparat und nicht den Menschen, die sie verwaltet. Eine ironischerweise antidemokratische Haltung, der die Krone aufgesetzt wird, wenn wir bedenken, dass Strohmeier implizit “die Wirtschaft”, also Großkapitalist:innen, zu diesem Apparat dazuzählt. Ein geradezu aristokratisch anmutender Spalt zwischen den Mächtigen und dem Pöbel zieht sich so durch seine Kritik.
Warum erfolgreiche Kinderserien so (vermeintlich!) links sind, liegt eigentlich auf der Hand. Menschen und insbesondere Kinder können sich mit den einfachen Leuten besser identifizieren als mit den Mächtigen. Sie sehen ihre realen Probleme abstrahiert oder sogar direkt dargestellt. Die Lösung auf viele dieser Probleme ist oder wäre eine linke Politik oder Maßnahmen, die mit linker Politik komplementär sind. Es ist also ein demokratischer Selektionsprozess, der Kinderserien so links sein lässt. Nicht alle Kinderserien sind links, das ist ein Survivorship Bias. Es gibt viele konservative und sogar rechtsradikale Kinderserien, Hörbücher und Comics.
Die sind aber schlicht nicht beliebt.
Der Blogeintrag bezieht sich auf diesen Artikel, veröffentlicht auf der Plattform der BPB.