Vorwort
Diese Geschichte ist genau so geschehen.
Ein behinderter Tag. Das beschreibt den heutigen Tag sehr gut. Die ToDo-Liste war lang. Von Gedöns zum Studium, ärztlichen Attesten die es einzuholen gilt bishin zu einem extrem dringenden Einkauf, da ich keine Lebensmittel mehr zuhause hatte. Schon seit Tagen schob ich das vor mir her, denn zur Zeit leide ich stark an autistischem Burnout. Es fällt mir schwer, überhaupt irgendetwas hinzubekommen. Selbst Dinge wie Kochen (oder ne Tiefkühlpizza in den Ofen zu knallen) oder Duschen werden so zur Herausforderung, die ich meistens nicht mehr schaffe. Ich schlafe extrem schlecht, wache oft erst nach 12 Stunden hundemüde auf. Auch wenn ich einen Wecker stelle um “nur” 7 oder 8 Stunden zu schlafen: Extreme Müdigkeit, sodass ich direkt nach dem Ausschalten wieder einschlafe.
Heute klingelte mich um 11 Uhr der Postbote wach, Paket für’n Nachbarn. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Ich entschied mich, das mit dem Arzt zu machen. Es war schon 13 Uhr, ich hatte einen Weg von 2h vor mir. Ich wartete an der Bushaltestelle und verdammt, war das anstrengend. Autismus macht mich generell sensibler gegenüber gewissen Reizen. Insbesondere Geräusche nehme ich anders, zum Teil deutlich lauter und ungefilterter wahr. Jedes Auto das vorbeifuhr war schmerzhaft. Diese Schmerzen haben irgendwann eine längerfristige Wirkung als das kurze Zusammenkneifen der Augen und Zuhalten der Ohren. Ein Schwummrigkeitsgefühl stellt sich ein, sensorische Überbelastung. Dann kam noch so ein Proll mit seinem lauten Knattertöff. Das Knattern ging in ein Fiepen über, das ich nicht in den Ohren sondern “im Gehirn” hörte. Mir wurde zunehmend schwindlig und mir fiel immer wieder auf, dass ich die Augen plötzlich wieder öffnete. Wie wenn mensch aus dem Sekundenschlaf erwacht.
Ich entschied mich nach Hause zu gehen, und das keine Sekunde zu früh. Mir fiel es immer schwerer mich auf den Beinen zu halten. Leichter ging es erst wieder, als ich von der Hauptstraße weit genug weg war. Die Schmerzen waren unerträglich. Meine Schritte wurden kleiner, ich hatte keine Kraft mehr. Aber ich zwängte mich weiter nach vorn, gen ‘sicherer’ Wohnung. Dort angekommen entschied ich mich wenigstens den Lebensmitteleinkauf vorzubereiten, aber es war einfach zu viel. Ich kippte zur Seite, fing mich am Übergang Küche-Wohnzimmer nur um weiterzustolpern und mitsamt Rucksack auf den Boden zu kippen.
Und da blieb ich liegen.
Irgendwann wachte ich auf. Ich hatte keine Kraft mehr, den Oberkörper aufzurichten, besonders weil der Rucksack mich noch nach unten zog. Also lag ich noch eine Weile da, bis es mir endlich gelang mich aufzurichten.
Den Rest des Tages verbrachte ich mit Lokführer-Dashcamvideos und Führerstandsmitfahrt-Videos. Naja fast. Irgendwann hatte ich genug Kraft geschöpft, um es zu riskieren. Ich mache Einkauf! Ich wappnete mich und machte mir mentale “Exit-Strategien” bereit. “Wenn ich beim Müll abgeben dies und das verspüre, nach Hause.” und “Es ist okay nur das Pfand abzugeben und den Einkauf wannanders zu machen.” und so weiter. Los gehts. Müll weggebracht, check. Mir gings noch gut genug also Volles Risiko: Ab in Rewe.
Beim Pfandabgeben merkte ich, dass ich neben der Spur bin. Ich half einer Dame, die mich nach den Automaten fragte. Brachte all mein Pfand ein und.. da wird’s schwummrig. Irgendwie ging ich mit dem Wagen in den Laden. Und nach 2/3 des Einkaufs war ich auch wieder voll da. Ich habe fast alles bekommen (2 Mahlzeiten fehlen jetzt in meinem Plan grr!). Als ich aus dem Laden kam war ich ungemein stolz. Hat alles problemlos geklappt. Trotz aller Widrigkeiten. Dem Lärm, den grellen Lichtern (ich ließ die Sonnenbrille auf) und so weiter. Ich zog eine Flasche aus dem Kasten, schlug sie daran auf und genoss einen Schluck. Handymusik an und Rückweg antreten. Nun bin ich zuhaus. Ich weiß nicht, ob ich es heute noch schaffe zu kochen. Aber wenn nicht, dann habe ich wenigstens morgen etwas zu essen.
Warum der Post? Ich möchte gern ein wenig Aufmerksamkeit darauf lenken, dass es Behinderungen gibt, die einen im Alltag stark einschränken können, Schmerzen verursachen oder sogar gefährlich sein können. Und doch sind sie für andere ohne geschulten Blick komplett unsichtbar. Verurteilt eure Mitmenschis nicht, wenn sie augenscheinlich nicht so leistungsfähig sind wie andere. Manche müssen mehr leisten, um zum gleichen Ergebnis zu kommen.
P.S.: Hab es noch hinbekommen, zu kochen. Ein sehr leckeres vegeratisches Gyros mit rotem Reis, frischen Zwiebeln und Tzaziki. Köstlich!