Anarchist Angel's Gedankenwelt

Tagebuch: Frankfurt, Oder?

Vorwort

Diese Geschichte ist genau so geschehen.


Mein Freund hat nun das 49€ Ticket. Hussah. Die Gelegenheit muss natürlich genutzt werden, also entschieden wir uns irgendwo hinzufahren, wo wir beide noch nicht waren. Dieses irgendwo war: Frankfurt an der Oder. Das ist von Berlin nur eine Stunde und doch irgendwie “weit weg”. Und was machen wir da?

Pff, keine Ahnung.. trinken? Trinken. Sauftourismus light? Ferntrinken.

Natürlich wollten wir uns nicht abschießen, einfach einen lauen Nachmittag in der Sonne faulenzen und bisschen einen Sitzen haben. Paar Bier oder so. Ich erspähte auf Google Maps die Oderinsel Ziegenwerder und entschied, dass das unser Ziel wird.

In Frankfurt angekommen sahen wir zunächst mal: Loks! Zwei Baureihen 152 waren gerade zufällig da und am Gleis 1 ausgestellt waren zwei Baureihen 243 (bzw. 143 nach neuer Bezeichnung) und die 64-317! Also Fotos gemacht, gut dass ich die Kamera dabei hatte. Weiter gings zum Kaufland, Alkohol und Futter kaufen. Wir kauften zwei Bier, nen Pfeffi, einen Vodka, Cola und geschnittene Früchte. Diese wurden sodann mit dem Vodka übergossen et voila - Partysnack!

Danach wurde auch gleich die Insel angesteuert, die sich schöner herausstellte als gedacht. Echt ein toller Ort zum Entspannen und.. genau das taten wir auch. Wir aßen und tranken, hörten Musik und kuschelten während wir ans andere Ufer nach Polen blickten. Nach einiger Zeit schlug ich vor, die “Schlaufe” um die Insel zu laufen und mein Vorschlag wurde akzeptiert. Wir kamen zunächst an einen “Strandabschnitt”, Sand in einer Art seichten Minibucht, die von der Strömung verschont war.

Zwei Typen kamen mit ihrem Hund, fragten ob wir Angst vor Hunden hätten. Wir verneinten, so ließ er den kleinen am Strand rumflitzen. Ein sehr süßes Tier, mit dem wir dann auch spielten. Die Kerls gönnten sich ein bisschen Wasser, der eine schwimmte sogar raus.

Mensch, ich wollte auch.

Aber ich hatte keine Badesachen dabei. Seufzy. Ich zog die Stiefel aus und krempelte die Hose hoch, um wenigstens ein bisschen Nass zu bekommen. Mit dem Hund spielte ich auch im Wasser ein wenig, er liebte das Planschen und sich gegenseitig nasszumachen. Richtig süß.

Doch war mir immernoch nach schwimmen. Zurück am Strand sagte ich meinem Freund also: “Halt mal mein Shirt und so dass da kein Sand rankommt.” Kurzerhand zog ich mich komplett aus und rannte ins Wasser. HUUuuuuUIII!

Das hat richtig Freude gemacht. Die Oder ist jetzt nicht unbedingt ein total sauberer Badefluss.. aber meine Güte. Wenn ich irgendwo an ein Gewässer fahre und es ist ohne Lebensgefahr möglich reinzuspringen.. dann will ich das auch. Ich schwimmte hin und her und weder die zwei Hundehalter noch ein Radfahrer, der Pause machte und telefonierte, starrte komisch oder störte sich daran. Das ist schön.

Weiter ging es dann zu einem Spielplatz, der natürlich beklettert werden wollte. Schaukeln und sogar eine Seilbahn musste auch sein. Wenn ich als fast 30 jährige Frau nicht mehr spielen kann, dann läuft was falsch im Leben!

Sodann traten wir den Heimweg langsam an. Es war auch schon 21 Uhr. Zurück am Kaufland wollten wir noch etwas Cola holen um den Rest Vodka noch mischen zu können. Wir waren beide alles andere als nüchtern. Aber wir genossen es, zur Gute-Laune-Musik mitzusingen, während wir gen Bahnhof gingen.

Ich gab meinem Freund die leere Bierflasche, Pfand is Pfand. Das sollte sich allerdings als Fehler herausstellen. Ich ging voraus ein paar Treppen hinab als ich plötzlich ein Klirren vernahm.

Mein Freund war gestürzt, direkt in die Glasflasche hinein. Er hatte mehrere Schnittverletzungen an der Hand und blutete stark. Ich versuchte mich an Erster Hilfe, identifizierte die Wundstärke und -Lokalitäten. Die meisten waren kleinere Schnitte, aber eine am Finger war so tief, dass ein Wulst aus sich trennendem Gewebe entstand. Eine klaffende Wunde. Passanten sprachen uns an, ich meinte er sollte in die Klinik - das könnte genäht werden müssen. Der Passant meinte, die nächste Klinik sei etwa 25 Minuten mit der Straßenbahn entfernt. Fuck.

Wir versuchten es irgendwie noch hinzubiegen, aber er hatte starke Schmerzen. Da mein Desinfektionsspray ausgelaufen war, konnten wir die Wunde nichtmal richtig desinfizieren. Mir war damit nicht wohl. Nach Abwägung der Optionen entschieden wir uns, die 112 zu fragen. Ich beschrieb Unfallhergang und schwere der Verletzungen. Die meinten, es komme wer. Dass der Krankenwagen mit Blaulicht kam hätte ich nicht gedacht, aber so war er immerhin schneller da. Nach kurzem Blick meinten die Sanis: “Yup, ab ins Krankenhaus.” Ich durfte zum Glück mitfahren.

Und so saßen wir da. Und wir warteten. Seine Wunde wurde bei der Triage ausgespült und verbunden. Das Blut sickerte langsam durch den Verband. Ich teilte außerdem mit, dass wir aus Berlin seien und der letzte Zug in einer Stunde fährt. Und wir warteten. Und wir warteten. Wir begriffen, dass wir keine Chance haben den Zug um 0:30 Uhr zu erwischen. Besonders als ich feststellte, dass das Krankenhaus 7km außerhalb der Stadt liegt und keine Busse oder Trams mehr verkehren. Fek. Also warteten wir, die Laune ziemlich mies. Und wir warteten weiter, die Laune noch mieser. Zwischendrin flossen Tränen.

Fast vier Stunden lang. Dann endlich kam er dran, als allerallerletzter von allen die in der Zeit hereintraten - obwohl er eine offene, blutende Wunde hatte. Nach drei Minuten war die Behandlung fertig, es musste nicht genäht werden, er bekam Wundklebestreifen und einen frischen Verband.

1:45 Uhr also raus aus dem Krankenhaus.. und wir standen mitten in der Pampa an einer vierspurigen Bundesstraße, die wir laut Google entlanggehen sollten. Glücklicherweise führte ein Fußweg diese entlang und so.. marschierten wir eben los, in Richtung Bahnhof.

3:30 Uhr wirkte erst wie ein sehr großzügiges Zeitlimit, aber so nach und nach stellen wir fest, dass dieser Zeitpunkt immer näher rückte, während wir gerade erst die Stadtgrenze erreichten. Da wurde uns an der Tramhaltestelle angezeigt: N2 “Bahnhof” - 8min

Hallelujah, es kommt ne Tram! So warteten wir die 8min eben. Doch sah ich aus dem Augenwinkel keine Tram sondern einen Bus näherrücken. “BUS!” rief ich und wir rannten über die Straße, um ihn zu erwischen. Puh, Glück gehabt. Wir fuhren eine Weile und mein Freund sah auf Google Maps, dass wir uns weiter und weiter vom Bahnhof entfernten. Wir wurden nervös. Ich meinte “Da steht nur Bahnhof als Ziel.. welcher Bahnhof?” Fuhren wir jetzt etwa in eine ganz andere Stadt??? Doch der Bus drehte irgendwann und fuhr in gerader Linie wieder zurück zum Ausgangspunkt und von da aus weiter - zum Bahnhof Frankfurt (Oder). Und zwar genau rechtzeitig, denn in 15 Minuten war planmäßige Abfahrt.

Von da aus nach Hause war es ein “Kinderspiel”, wenngleich ein langwieriges. Wir beide nickten immer wieder weg. Auch als sich unsere Wege trennten fiel es mir schwer, nicht ständig in Sekundenschlaf zu verfallen. Dann kam auch der Bus, der seinen Zielanzeiger aber nicht eingestellt hatte, weswegen ich ihn vorbeifahren ließ. Erst bei der Abfahrt von der Haltestelle sprang die Nummer auf die der Linie um - und ich regte mich tierisch auf. Mittlerweile war es 5:30 Uhr und ich wollte einfach ne Runde pennen. Der nächste Bus kam dafür mit einem Fahrer mit unglaublich guter Laune, und sowas ist ansteckend. Beim Ausstieg verabschiedete ich mich humoristisch (und sichtlich völlig fertig) mit “Na denn ma gute Nacht”, was ihn zum Lachen brachte. Er wünschte mir nen schönen Tag, ich diesen zurück und ich erreichte endlich meine Butze.

Die ganze Nacht über lief ich im Halbarm-Shirt herum, ich war also gut durchgefroren. Also Zähne geputzt und erstmal warm geduscht. Um 6:14 Uhr dann endlich ins Bett.

Meine Ausflüge in letzter Zeit verlaufen irgendwie nicht so recht nach Plan. Und doch hab ich die erste Hälfte genossen und irgendwie sogar die Zweite auch. So doof das Leben einem manchmal spielt, mit solidarischer Freund- und Partnerschaft ist alles halb so wild. Und so lassen sich selbst in diesen Momenten noch Freuden finden, so tanzten wir zur Musik über die Autobahnbrücke und taten unsere Verachtung gegenüber dem (geschlossenen) AfD-Bürgerbüro verbal kund.

Die Moral von dieser Gschicht? Habt euch Lieb, verteilt gute Laune und gönnt euch im Leben die großen und kleinen Freuden. Denn die Scheiße, die kommt sowieso. Das könnt ihr nicht verhindern. Aber ihr könnt es die Scheiße wert machen ;)

July 11, 2023

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