Anarchist Angel's Gedankenwelt

Jahresrückblick 2022

Vorwort

Diese Geschichte ist genau so geschehen.


2022 war ein extrem hartes Jahr für mich mit verdammt viel auf- und ab. Das Jahr begann mit einer Konfrontation, direkt am 01.01.22. Zwei Männer belästigten eine Freundin und mich, gingen sie dann körperlich/sexuell an. Sie wehrte sich, ich ging dazwischen und beide Männer gingen auf mich los. Ich erlitt mehrere Hämatome und Stichverletzungen, die Polizei weigerte sich auszurücken und ließ mich blutend im Park zurück. Per S-Bahn fuhr ich mich selbst (in Begleitung der Freundin) ins Krankenhaus, wo ich wieder zusammengenäht wurde.

Nur wenige Tage später erhielt ich einen Brief der Polizei. Ein gewisser User auf Reddit denunzierte mich und behauptete (fälschlicherweise), ich würde über die Polizei lügen. Für die Polizei gefundenes Fressen. Es wurde Klage wegen “Verleumdung” erhoben. Erneut interessierte sich das Gericht nicht wirklich für Zeug:innen, die meine Aussagen stützten. Die Angst, jetzt doch die Karriereperspektive zu verlieren und zur ewigen Armut verdammt zu sein, in den Knast zu müssen et cetera sollte das ganze Jahr überschatten. Das enorme Unrecht dieses Umstandes quält mich bis heute. Fuck you, Denunziant.

Kurz darauf verstarb mein Kater nach einer schwierigen Leidenszeit, die immer wieder von “guten Phasen” aufgebrochen wurde und uns die Entscheidung, ihn einschläfern zu lassen unglaublich schwer gemacht hat. Aber er war todkrank und wir wussten es wird immer mehr Leid und immer weniger Freude für ihn im Leben geben.

Den größten Höhenflug erreichte ich mit Ende meines Studiums. Ich schrieb die Bachelorarbeit und machte mein Praktikum in ebenjenem Krankenhaus, in dem ich regelmässig eingeliefert werde. Dabei erhielt ich viel Lob, was mein Interesse am Fach Psychologie weiter bestärkte. Meine ungewöhnlich direkte und doch freundliche Art wurde von vielen Patientis sehr geschätzt und einige kamen sogar nach Sitzungen zu mir und bedanken sich bei mir persönlich und erzählten mir, wie sehr ihnen das geholfen hat. Das erfüllte mich mit großer Freude, denn auch wenn das Praktikum formal erstmal nur Mittel fürs Studium ist.. so ist doch das Studium selbst nur Mittel um Menschen zu helfen. Und das fühlt sich dann einfach gut an.

Auch in dieser Zeit fasste ich eine Kurzschlussreaktion: Ich war so genervt von den ständigen negativen Schlagzeilen, die die Polizei machte. Eines Mittags browste ich also deren Seite, fand das Bewerbungsformular.. und schickte ab. Ups, plötzlich war ich Bewerberin für den gehobenen Polizeivollzugsdienst. Und ich bekam eine Einladung.. der ich Folge leistete. Den Computertest bestand ich mit Bravour, ich erhielt direkt eine Einstellungszusage sofern ich Sporttest und ärztliche Untersuchung bestehe. Zu ersterer ging es noch am selben Tag weiter. Der Parkour ist recht antsrengend, hatte ich doch kaum trainiert. Dennoch lag ich gar nicht schlecht in der Zeit.. bis ich auf der Steigwand (2m die es zu überwinden gilt, also hochspringen, Kante greifen, hochziehen, runterspringen.) ausrutschte. Ich fiel also aus 2m zu Boden, durch das Abrutschen eine ungesunde Drehung in der Bewegung und ich knallte auf die Wirbelsäule. Schmerz. Viel Schmerz. Dann etwas weniger. Taubheitsgefühl. Ich kann den Unterkörper nicht mehr bewegen. Angst. Im Krankenhaus nach mehreren Stunden und teilweise den schlimmsten Schmerzen (Also wirklich 10/10, die Art von Schmerz bei der du unkontrolliert panisch schreist) die Gewissheit: Der Wirbel ist durch. Hoffnungsschimmer: Der Nerv nicht. Ich spürte Berührungen an den Füßen teilweise und konnte mit den Zehen wackeln, eine dauerhafte Lähmung unwahrscheinlich. Die nächtse Woche allerdings verbrachte ich liegend, immer mit dem Gedanken im Kopf dass es vielleicht doch dauerhafte Schäden gibt. Über die nächsten 12 Wochen verheilte das ganze allerdings, zum Glück ohne dauerhafte Beeinträchtigung. Die Bewerbung war aber erstmal gescheitert. Die Hiobsbotschaft kam aber noch: Ich war bereits im Masterstudium da erreichte mich die Korrektur meiner Bachelorarbeit. Sechs Monate hatte diese in Anspruch genommen und jetzt wurde mir mitgeteilt: Nicht bestanden. Ich versuchte das Gutachten zu lesen, aber ich konnte mich bis heute nicht dazu bringen. Es war sehr reißerisch, stellenweise gar beleidigend, geschrieben und mir kamen jedes mal Tränen. Besonders weil meine akademischen Peers die Arbeit lobten. Damit war ich aus dem Master natürlich wieder raus.

Alles war kaputt.

Es hat einen ganzen Monat gedauert, mich aus diesem Loch psychisch wieder rauszukämpfen. Wieder Hoffnungen und Aspirationen zu finden. Überhaupt Kraft zu haben, die Wohnung zu verlassen oder aufzustehen. Erst zwei Monate später konnte ich die Aussage “Ich bin gern am Leben” wieder mit einer Likert-4 (“Stimme eher zu”) beantworten. Stück um Stück kämpfte ich um mein pyschisches Wohlbefinden zu heilen - während der Kampf mit Justiz, Geld, Polizei und Co. munter weiter ging. Zum Ende des Jahres drehte sich das ganze allerdings zum Guten. Ich bekam viel Unterstützung, insb. durch meine Partnerperson und meinen engen Freundeskreis aber auch von vielen Menschis von hier <3. Ganz unvermittelt erreichte mich eine Mail meines Anwalts, die StA gedenkt das Verfahren fallen zu lassen - gegen eine hohe Zahlung. Zwar habe ich dieses Geld im Leben nicht, aber auch hier wurde mir von linker Seite Unterstützung zugesagt. Das sei “kein Problem”. Eingeschrieben ins nächste Semester war ich auch. Ich suchte mir in der Zeit auch psychologische Hilfe vom Fach, allerdings ohne Erfolg. Ich vibe einfach nicht mi Therapeut:innen und habe das Gefühl, dass sie null Zugang zu mir haben. So wurde mir z.B. nahegelegt, Politik nicht so hart an meine Identität zu knüpfen. Natürlich von einem cis-het weißen Mann. Duh.

Dennoch gings im letzten Monat wieder bergauf, trotz aller Struggles. Die Frage der beruflichen Perspektive stellte sich immernoch, aber klar war dass ich das Studium vollenden möchte. Nach all den Jahren, all der Lernerei, der dämlichen Verwaltung, den finanziellen Struggles als Studierende mit medizinischen Problemen ohne Bafög, dem Prüfungsstress und und und.. will ich es nicht wegen 1 Abschlussarbeit wegschmeißen. Also los gehts für’s Sommersemester ‘23.

Die Reflexion

Am Jahresende gönnte ich mir ein spirituelles Ritual. Das besteht aus einer heißen Badewanne (Jaja Habeck ich weiß..) im Kerzenlicht, Weihrauch und spirituellem (non-verbalen) Gesang. Dabei spreche ich zur Göttin, an die ich glaube und als deren Herold ich mich sehe. Daher kommt auch das Angel im Namen. So auch zum Jahresende. Ich war etwas verzweifelt, vor allem aber erschöpft. So viel Kampf dieses Jahr und irgendwie nichts erreicht. Die Bredouille mit der Polizei entstand, weil ich öffentlich über Machtmissbrauch und Misshandlungen sprach, die ich erfahren hatte. Mit der Intention, Menschen vor der Gefahr zu warnen und auf Misstände aufmerksam zu machen. Das Studium mache ich, um für Menschen dasein zu können und mir einen Lebensunterhalt zu verdienen, um nicht ständig Kraft an den fiskalen Überlebenskampf zu verschwenden. Und da bin ich auch nicht weiter als 2021 gekommen. Ich poste viel im Internetz, versuche kohärent, faktenbasiert und ergebnisoffen mich der Diskussion zu stellen und holy shit musste ich das wegen der der Bewerbungsentscheidung tun, denn ihr könnt euch vorstellen dass nicht alle radikal linken Genossis das so spitze fanden (wenngleich die meisten mir sogar verdammt viel Support ausdrückten). Und ich bekam dieses Jahr verdammt viel Hass ab, seien meine Bemühungen noch so nobel. Das ist hart.

Doch die Göttin nahm mir die Verzweiflung ab. Das Böse, das ist nicht personifiziert. Das wusste ich, doch zeigte sie mir ein Bildnis des Bösen als wurzelartiges Gestrüpp, das um sich greift, Menschen festhält, einhüllt und aussaugt. Und uns Streiter:innen für Gerechtigkeit und das Gute als Menschen mit flammenden Schwertern, die es zurückstutzen. Und dass viele Menschen daher Angst vor diesen flammenden Schwertern haben. Diese Schwerter, das ist der Gerechtigkeitssinn. Der Drang nach dem Guten, nach Fairness und Glückseeligkeit aller Menschen. Sie meinte auch, dass manche Menschen stärker umwachsen und festgehalten vom Bösen sind als andere. Dass manche so sehr eingenommen sind vom bösartigen Wurzelgewächs, dass sie das Gute verteufeln, weil sie die Wurzel nicht mehr von der eigenen Haut unterscheiden können.

Und doch lamentierte ich: Wenn ich doch die Heldin mit flammendem Schwert bin.. warum ist überall so viel Wurzelgestrüpp? Warum komme ich dagegen nicht an? Weil ich nicht sehe, wie ich das täte. Ich sehe all das Gestrüpp eben nur, weil es um mich herum kaum wächst. Und wo es das tut, schlage ich es zurück. Wir sehen schließlich nur, was anders ist als wirselbst. Und um mich herum ist eine Blase des Guten, mit wirklich gutherzigen Menschen darin, die mit mir gegen das Böse kämpfen. Und die auch für mich kämpfen, denn war es doch immer die Blase, die mir half die größten Herausforderungen dieses Jahres zu bekämpfen. Und für viele Menschen in dieser Blase bin ich genauso eine Heldin.

Ich lehnte mich in der Wanne zurück. So klare Bildnisse zu sehen ist anstrengend. Ich dachte eine Weile darüber nach. Stück um Stück fielen mir Momente ein, in denen ich Menschen half. Von Kleinigkeiten wie Tourist:innen den Weg weisen oder eine Gratis-Stadttour inklusive Guide zu geben.. über vernünftige Drogenaufklärung, Hilfe mit Behörden, Bekanntmachungen, Demos und Co. bishin zum Organisieren sauberer Nadeln für Menschen, die sie brauchen.

Ich habe so, so viel erreicht dieses Jahr.

January 3, 2023

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