Vorwort
Diese Geschichte ist genau so geschehen.
Sie betritt das Lokal, langsamen Schrittes auf knarzenden Dielen. Eine Hand hebt sich und ein Grinsen stellt sich ins Gesicht, als die Figur ausruft:
Hallo! I bims, Anarchist Angel!
Und ich habe eine kleine Geschichte mitgebracht. Es war jetzt ein paar Monate ruhig um mich und das lag daran, dass ich Arbeit aufgenommen habe. Eine Vollzeitstelle, eine knackige Ausbildung mit viel Verantwortung und dementsprechend strengen Prüfungen. Da hatte ich keine Zeit für viel Reddit und Streit im Internet, oder für sonstige Freizeit. Aber es war ja Wochenende, letzte Woche. Gefühlt das einzige Wochenende, denn zwar habe ich fast jedes Wochenende frei doch hat sich bis dahin genug Haushalt und sonstiges an Terminen angesammelt, dass ich da auch arbeite, nur halt unbezahlt zum Selbsterhalt. Aber letztes Wochenende war anders. Freitag und Samstag schaffte ich einiges aus dem Weg und Samstagabend fiel mir ein, dass eine Freundin von mir ja heute in einer linken Kneipe den Tresen macht. Und ich hielt’s nicht mehr aus einfach zuhause rumzuhocken und darauf zu warten, dass das WE wieder vorbei ist. Also los geht’s. Ich schrieb ihr, dass ich vorbeikomme. Besagte Freundin und ich hatten einst ein sehr intimes Verhältnis. Einst, das war vor anderthalb bis zwei Jahren. So lange hatten wir uns nicht gesehen. Ihre Antwort war:
“Okay :D Das ist verrückt”
Ich war mir unsicher. Sollte ich umdrehen, hat sie überhaupt Bock mich nochmal zu sehen? Aber letztlich blieb ich dabei, ich wollte irgendwohin und.. wenn ein Mensch keinen Kontakt mehr möchte, erwarte ich dass der Mensch mir das kommuniziert. Ist ja auch legitim, wenn so eine alte Liebschaft ihren Funken verliert und Lebenswege auseinandergehen. Ich trank einen Schluck Likör und fuhr.. nach Potsdam. Weit ins Ausland. Mein Alkoholkonsum hatte sich wegen der Arbeit quasi auf fast-null abgesenkt. Mal ein Feierabendbier aber.. naja, ich könnte eh nur am WE richtig saufen und da habe ich gar keine Lust mehr dazu. Aber der Abend sollte eine Ausnahme werden. In Potsdam angekommen stand ich letztlich vor der Kneipe. Soll ich wirklich reingehen? Es wäre so awkward wenn sie gar keinen Bock auf mich hätte und ich dann doof am Tresen stehe wie so’n Stalker. Andererseits hat sie mir ja gesagt, dass sie am Tresen ist und sogar die Adresse geschickt. Ich musste ein wenig mit mir ringen. Ich nahm noch einen tiefen Atemzug frische Novemberluft, öffnete die Tür in den Keller und trat die Stufen hinab. Ein anderer Mensch war am Tresen.
Nun.. okay, dann bestelle ich mir erstmal ein Bier.. am Tresen angekommen wollte ich gerade den Mund aufmachen, als sie aus dem Getränkelager nach vorn an den Tresen kam. Sie strahlte mich an und wir grinsten uns doof ins Gesicht. Von ihr bekam ich eine Umarmung und kurz darauf ein Bier. Und wir quatschten, zwischendurch musste sie natürlich die andren bedienen und mit denen kam ich auch ins Gespräch. Ich kannte sie noch nicht, aber sie waren wohl auch wegen ihr da. Freunde zum Supporten, da sie ja das erste mal Tresen macht. Das typische Zuhausegefühl stellte sich ein. Ich war zum ersten mal in dieser Kneipe, aber bei linken Zeckenbars ist es doch immerwieder sofort ein zuhause mit liebevollen Menschen. Ein Mensch tappste mich von hinten an: “Kommst du gleich noch zum Bezahlen wegen Eintritt und so?”
Achja, es war ja Konzert. Der Eintritt war 6-8€. Zum selbstentscheiden, sozusagen. Dekadent wie ich als Auszubildende mit Ausbildungsentgelt bin gönnte ich die 8€ und ging zurück. Das Konzert begann mit den Vorbands, die meinen Geschmack jetzt nicht unbedingt trafen. Aber die Stimmung war trotzdem gut, ich blieb am Tresen und unterhielt mich mit allen möglichen Menschen. Als dann Imbiß spielten, da war mein Geschmack dann voll getroffen. Und nicht nur meiner: Die Tresen-Freundin meinte “Ich muss tanzen”, und prompt tat sie dies sobald eine Ersatztresenkraft gefunden war. “Soll ich,” frage ich mich. Soll ich wirklich? Wann war ich bitte zuletzt tanzen? Naja, was solls.
Ich stellte das Bier hinter den Tresen und machte mich auf zur Tanzfläche. Es dauerte nicht lange, da hat mich der übertrieben laute Rhythmus ergriffen und ich hüpfte wie ne Flunder außer Wasser. Viele leute stießen mich an, ich stieß an andere an, aber immer schön die Ellenbogen eingezogen (oder die Hände ganz nach oben) damit sich keiner wehtut und alle Spaß haben. Irgendwer hatte sein Bier noch dabei und ergoß es fröhlich über alle anderen. Die Freundin und ich grinsten und lachten ekstatisch beim Pogo bis die Band alle Lieder und Zugaben ausgespielt hatte. Meine Hose war voller Fremdbier, das T-Shirt klebte vom Schweiß wie ein Latexanzug an mir dran und ich spürte den nahenden Schwächeanfall. Also zurück zum Tresen und.. nochn Bier.
Das Konzert war vorbei, der Abend näherte sich seinem Ende zu. Die Freundin und ich gingen noch in ein Projekt ihrer Gruppe, wo sie auch schlief und ich vielleicht auch. Sie erklärte mir unterdessen, nun eine monogame heterosexuelle Beziehung zu führen, auch keine offene. Ich war etwas überrascht, aber auch glücklich für sie wenn ihr das gut tut. Hieß aber.. ich müsste auf einem Sofa irgendwo razzen, ganz ohne Körperwärme. Wir unterhielten uns in der hauseigenen Bar noch eine Weile, ein Mitbewohni war auch noch da und wir hörten Musik. Aber ich summierte und bemerkte den Likör, den einen Gratisschnaps und die sieben Bier langsam.
Junge junge, ich muss nach Hause.
Aber es fiel mir auch schwer, diese Chemie zwischen uns nicht zu spüren, zu verdrängen. Ich wollte wissen, ob sie sie auch spürt. Wir haben schon viel “Mist” miteinander gemacht, sie drückte mich mal zum Knutschen an eine Bullenwanne. Waren noch Cops drin, die prompt auf mich eindroschen und uns zu Boden stießen. Eine Story, die ich hoffentlich nie vergesse.. Ich nahm ihre Hand und führte sie hinaus in den Flur, um kurz allein sprechen zu können. Ich schätze, sie merkte mir die Frage schon an, und meinte, dass ‘das’ nun nicht mehr geht. Das tat ein bisschen weh, aber ich respektiere ihre Beziehung und wir umarmten uns einfach nochmal, ehe wir zurückgingen.
Das letzte Bier war kurz darauf auch überlebt und die Musikauswahl wurde langsam arbiträrer.. Der Mitbewohni wollte ins Bett und Freundin und ich hatten selbiges im Sinne. Also Rucksack gepackt, “ick fahr nach Haus.” Sie erklärte mir den schnellsten Weg zum Bahnhof und wir verabschiedeten uns draußen. Wir summierten, dass es ein sehr schöner Abend war und grinsten wieder doof. Nochmals umarmten wir uns und.. sie gab mir einen Kuss. Einen ganz unschuldigen, kurzen. Wieder doofes grinsen von uns beiden. Und dann machte ich mich auf den Weg..
Ich konnte kaum die Augen offenhalten beim gemächlichen Surren der S-Bahn, mehrmals schlief ich kurz ein und wachte mit der Angst auf, jetzt in Ahrensfelde mich wiederzufinden. Beim Umstieg auf den Regio dachte ich, ich sollte besser kotzen. War ja doch so viel Alk für die mittlerweile untrainierte Azubine, nicht mehr die suafgestärkte Gossengöre. Aber dafür war keine Zeit, fuhr der einzige Regio doch gerade auf dem Gleis gegenüber ein. Statt auskotzen also einen Sprint die Treppen runter und wieder hoch.. und irgendwie überlebte ich auch die Busfahrt ohne den Magen zu entleeren. Die Sonne meldete sich schon längst wieder zum Dienst, ehe ich zuhause mich in die Felle schmiss. Was’n abend. Hätte mir das letzte Wegbier nicht aufzwingen lassen sollen. Hätte dies, hätte das anders machen können.. aber..
Scheiße, was’n geiler Abend.