Anarchist Angel's Gedankenwelt

Tagebuch: Tag der offenen Tür bei der Polizei Berlin

Vorwort

Diese Geschichte ist genau so geschehen.


Ich war beim Tag der offenen Tür der Polizei Berlin

..oder dachte ich zumindest. Ganz so offen war die Tür dann doch nicht. Aber von vorn:

Mein bester Freund und ich waren dieses Wochenende zusammen viel unterwegs und ich bekam eine Einladung zum Tag der offenen Tür, da ich mich ja als Polizeikommissarin beworben hatte und zwischenzeitlich eine Einstellungszusage bekam. Gute Gelegenheit also den Laden mal etwas besser kennenzulernen. Selbstverständlich ist das Copaganda (Cop-Propaganda) vom feinsten aber das macht es ja nicht weniger interessant, mal zu sehen wie die Polizei sich von ihrer besten Seite präsentieren will.

Zuvor waren wir nocheinmal Dampflok spotten (dazu in einem anderen Eintrag) und hatten dementsprechend Kameraequipment dabei und unsere normalen Klamotten an. Normal sind bei uns Punkerkutten. Nichts allzuwildes, aber schon sehr erkennbar links (als wenn ich das mit meinen pinken Haaren nicht eh schon wäre..).

Wir traten durch das Tor, stichprobenartig werden Kontrollen durchgeführt. Ich meinte schon grinsend, dass wir 100% “zufällig” ausgewählt werden. War natürlich der Fall, aber no hard feelings, wenn ich ehrlich bin hätt ich’s in der Situation vmtl. ähnlich gemacht. Wir fandens lustig und hatten ja glücklicherweise keine gefährlichen Gegenstände dabei, nachdem ich nach dem Losgehen doch noch das Pfefferspray in der Jackentasche bemerkte und mir selbst in den Briefkasten warf, damit wir den Bus nicht verpassen :D

Wo geht’s also hin? “Boah, Wasserwerfer!” Das Ding mal aus der Nähe sehen war interessant, wenngleich ich das Gefühl der Bedrohung nicht abschütteln konnte. Der WaWe war ausgestellt mit einem Polizeipanzer und dem neuen Rheinmetall Survivor. Davor stand auch ein Beamter, der Fragen beantwortete. Wir hatten natürlich viele. Ein paar technischer Natur.. und von mir die Frage: “Haben Sie nicht auch Angst, dass Sie da vielleicht Menschen verletzen könnten?” Antwort: “Nein, da kann nichts passieren.” Die Antwort überraschte mich. Er erläuterte, dass da eine Studie wohl gemacht wurde, bei der mit dem WaWe auf Schweinestücke gefeuert wurde und die Druckbelastung etc. gemessen wurde, um Druckwerte zu ermitteln, die keine schweren Verletzungen hervorrufen. Der Druck werde auch in Abhängigkeit der Distanz angepasst. Er schien davon auch felsenfest überzeugt, ich persönlich zweifle noch an der Sicherheit habe ich doch einige Verletzungen durch WaWes schon live gesehen. Wir sprachen auch über den Taser, den er sehr gern im Einsatz sähe. Das Argument klassisch: Der Taser verhindert den Schusswaffengebrauch. Ich erwähnte Studien, die zeigen dass der Taser das keineswegs tut sondern eher zusätzlich eingesetzt wird und damit die Gewalt mehr eskaliert, und dass es bei dem 16-jährigen ja offenbar auch nicht geholfen hatte. Er meinte, dass die Studien ja nicht aus Berlin seien und damit für die Berliner Polizei ziemlich irrelevant. Auch bezeichnete er die “Mainstream Medien” als links, was mich die Stirn in Falten legen ließ. Axel Springer war weiß Gott kein Kommunist und das sind die auflagenstärksten Zeitungen und Medien nun wirklich nicht. Schließlich ginge es um die Frage, ob “im Zweifel” geschossen werden soll. Er meint ja, denn jeder Polizist und jede Polizistin hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Ich meine ich würde das nicht tun, denn das Recht hat auch das polizeiliche Gegenüber. Erst wenn ich mir sicher bin, dass eine akute Bedrohung besteht, die sich nicht anders lösen lässt. Wenn’s hart auf hart kommt würde ich lieber im Dienst mein Leben lassen als einen unschuldigen Zivilisten erschießen. Ich verstehe beide Seiten, was mir aber nun kalt den Rücken runterlaufen lässt war seine Reaktion auf diesen Spruch von mir: “Dann sollten Sie ihre Berufswahl nochmal überdenken.” Ich meine, überdenken sollten diejenigen ihre Berufswahl, die mit dem Gedanken “Hauptsache ich bin unverletzt, egal wie viele Zivilist:innen darunter leiden müssen.” in den aktiven Polizeivollzugsdienst gehen. Wir verabschiedeten uns und gingen weiter. Historische Polizeifahrzeuge sahen wir, und auch die Dudelsackband der Polizei Berlin. Sehr spannend. Wir sahen dann eine Demonstration/Show des SEK in vier Einsatzsituationen. Sehr schön in Szene gesetzt, war ganz lustig. Mir kam natürlich sofort in den Sinn, dass das die Theorie ist und in der Praxis ein SEK auch mal die falsche Wohnung stürmt :D

Weiter gings zu Gesprächspartner #2: Mordkommission. Wir sprachen über das Begehen von Tatorten, wie da vorgegangen wird, wie lange das so dauert (10-15 Stunden seien üblich) und vor allem über die psychische Belastung. Die sei managebar, sagte er uns. Es werde viel unter Kollegen darüber gesprochen, jeder gehe damit aber auch anders um. Psychologische Betreuungs-/Hilfsangebote bestünden auch. Ich fragte ihn, ob ein Stigma gegenüber diesen bestehe. “Nein”, antwortete er, “auch wenn der Beruf noch ein bisschen vom Weißen Mann dominiert ist, da sagt keiner irgendwas dagegen oder so.” Für manche Kolleg:innen, z.B. bei der Bearbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch, sei das sogar vorgeschrieben, da sie natürlich sehr belastendes Material unter Umständen sichten müssen. Nettes Gespräch, wir verabschiedeten uns wieder und liefen weiter.

Da sah ich ihn. Den Stand der DPolG. Die Gewerkschaft, die medial vor allem durch ihren Berliner Chef Rainer Wendt bekannt ist, der mit Äußerungen auffällt, die sich im Rechtsradikalismus verorten. Da musste ich hin! Leider nicht mit diesem persönlich gesprochen, aber andere Vertreter waren vor Ort. Also direkt gefragt: “Wenn ich jetzt Polizistin werde.. warum DPolG?” Eine Einladung zur Werbung für die Gewerkschaft, der auch nachgekommen wurde. Die DPolG vertrete uneingeschränkt Polizeiinteressen, und zwar Interessen der Polizist:innen. Die Mitgliedschaft im Beamtenbund verleihe ihr besonderes Gewicht. Er meinte, das sei auch die Aufgabe als Gewerkschafter, eben die Interesse des Berufsstandes zu vertreten. Fair. Wir sprachen über unüberwindbare Klüfte, die “Ideale Polizei”, die der Gewerkschaftsvertreter übrigens als die jetzige sieht, woraufhin ich meinte, dass ich noch Luft nach oben sähe. Einig wurden wir uns bei so gut wie gar nichts, außer dass Bodycams gut sind, wenn sie verpflichtend eingeschaltet sind. Aber wir hatten ein respektvolles Gespräch und er lobte gar, dass wir anwesend waren bei einem Event wie diesem.

Weiter gings. Die Zeit wurde langsam knapp, denn mein Bestie musste auf seinen Zug (Fernverkehr zurück in die Heimat) und wir wollten vorher noch was essen, was wir den ganzen Tag noch nicht hatten. Aber den Gefangenentransporter von innen sehen wollten wir noch! Dazu mussten wir Schlange stehen. Ein paar Witzeleien mit den Cops die außen standen später durften wir den dann auch von innen sehen. Ganz nett, war ich tatsächlich noch nie drin. Sitze einigermaßen bequem, Heizung und Klima vorhanden… aber sehr düster und wirkt durch die silberne Innenverkleidung wie eine Frischhaltebox. Na gut, seh ich hoffentlich nie wieder :D

Meine Partnerin schrieb mir noch, sie wolle den Kinderwasserwerfer sehen. Die stehen ja zum Glück direkt am Eingang also LOS LOS ein paar Fotos knipsen. Gesagt getan, scherzhaft meinte ich zu den drei Uniformierten “Den will ich bei der nächsten Demo sehen!” fanden sie nicht witzig, meh. Nun aber.. den ganzen Tag mit Equipment auf den Beinen gewesen, mehrere Sprints um die Lok zu erwischen und viel Aufregung… Zeit nach Haus zu gehen. Das Tor in greifbarer Nähe. Plötzlich versperren uns einige der hunderten Cops den Weg.

“Guten Tag, die Polizei!”

Ich, denkend: “Ach was????” Ich, sagend: “Hallo.”

Sie wollen unsere Taschen kontrollieren, da wir ja gerade gekommen seien. Wir lachen, meinen wir sind seit über drei Stunden hier und gerade auf dem Weg raus. In den Taschen sei nichts, aber sie könnten gern nochmal nachschauen. Das wollten sie auch, wir erlaubten es und dachten, die Sache sei erledigt. Ist ja nur die Kamera drin.

“Wovon haben Sie denn Bilder gemacht?”

Ich, denkend: Von der Ausstellung, die ihr öffentlich präsentiert du Schlaumeier! Ich, sagend: “Vom Wasserwerfer, dem Polizeipanzer, der Dudelsackband und dem Gefangenentransporter.”

Er blieb sehr skeptisch und erklärte, dass wir im Verdacht stehen, einen Terroranschlag oder Sabotageakt zu planen und dafür Aufnahmen anzufertigen. Als Begründung nannte er uns unsere Kleidung. Schließlich stünde auf einem Pin meines Freundes “Still not <3ing Police”, und einer meiner (dutzenden) Aufnäher sagt “All Cats Are Beautiful!”, ergo mögen wir die Polizei nicht und ergo gäbe es keinen anderen Grund für uns hier zu sein. Wir entgegneten dass wir es einfach interessant finden und spannendene Gespräche hatten. Er meinte, es sei schon sehr verdächtig, dass wir den Gefangenentransporter besichtigten. Den ausgestellten Transporter, für den es Führungen gibt.

Da wurde es mir einfach auch ein bisschen zu blöd und ich rollte mit den Augen. Mein Freund meinte, dass wenn wir etwas derartiges planen würden wir ja wohl eher unauffällige Kleidung wählen würden. Der Polizist meinte, mensch dürfe nicht davon ausgehen, dass jeder Raketenwissenschaftler sei. Er fühlte sich sehr von unserem Aussehen provoziert und setzte es gleich damit, mit einer “POLIZEI”-Mütze auf ein Punkkonzert zu gehen. Ich musste lachen, denn ich war schonmal mit einem Polizist auf einem Konzert und Überraschung.. er lebt noch. Dann meinte sein Kollege, das sei als würde mensch mit faschistischen Aufnähern in die Rigaer gehen (linkes Szeneviertel, zumindest teilweise). Ich meinte, da müsste er definitiv mit negativen Reaktionen rechnen, aber das sei überhaupt nicht vergleichbar mit hoheitlichen Maßnahmen. Es ist’n Unterschied ob dir wer zuruft “Nazis verpisst euch!” oder ob du unter Androhung körperlicher Gewalt von 3 Männern und 1 Frau festgehalten wirst mit der weiteren Androhung aller möglicher Maßnahmen der Staatsgewalt. Fast unterbrochen wurde ich von meinem Freund, der meinte dass die Aufnäher auch nicht vergleichbar seien. Denn meine sind antifaschistisch, menschenfreundlich (z.B. “Pfeffi statt Pfefferspray”) und humorvoll (“Stay warm, burn the rich!”) und faschistische Parolen stehen stellvertretend für unmenschliche Gewalt, die im Holocaust ihre Höchstform fand und auch heute noch viel alltäglicher ist als wir es uns eingestehen wollen. Ich fange jetzt nicht mit aufzählen an, aber ihr alle kennt die Schlagzeilen. Dem entgegnete er, der “Stay warm, burn the rich!” Aufnäher sei ja ein Aufruf zur Gewalt. Ich konnte nicht mehr und musste lachen. Als würden Linke fordern, ernsthaft die Wohnungen mit den Leichen von Reichen zu beheizen. Das nennt sich Satire, die jetzt mit der Energiekrise an prägnanz gewonnen hat. Ich konnte mir nicht verkneifen das zu sagen.. und ihn zu zitieren, denn “nicht jeder ist Raketenwissenschaftler.”

Mein Freund versuchte herauszufinden, warum wir eigentlich festgehalten werden. Und wie lange. Sein Zug kommt bald und wir haben immernoch nichts gegessen. Grr. Da klingelte mein Handy: Mama. Ich muss wieder lachen, die spürt das echt. Ich telefonierte etwas mit ihr und legte mich zurück ins Gras, während wir warteten. Abgeschirmt von den Cops. Zivilist:innen liefen en masse an uns vorbei und guckten komisch, was da wohl los war. Natürlich fragte keiner, die Informationslücken füllen sie sich dann mit Fantasie. Zwischendrin funkte der Chef der Truppe vor uns hin und her, um festzulegen, was mit uns geschehen sollte. Das tat er nicht ohne Anmerkung der Ungeduld: “Wie lange dauert das denn noch, bis die kommen? Wir erregen hier nämlich allmählich Aufsehen.”

So lagen bzw. saßen wir da, die Minuten zogen ins Land. Da meinte einer der Cops plötzlich “Sie wollten das Gelände jetzt verlassen?” Wir beide, genervt im Chor: “Ja.” “Gut, dann können Sie gehen.”

Ok.

Sachen zusammengepackt, aber dann wurden wir doch nochmal kurz gestoppt. Zwei der Cops sollten uns zum Ausgang begleiten. Um sicherzustellen, dass wir auch ja gehen.

Den Bus verpassten wir so natürlich und wir kamen so spät nach Haus, dass das Abendessen leider ausfiel und wir nur mit Müh und Not noch rechtzeitig zurück zum Bahnhof kamen. Sprintend erreichte mein Freund den Zug zurück nach Haus und ich.. blieb ziemlich fertig zurück.

Ich könnte das alles viel besser verdauen, wenn das nicht meine künftigen Kollegen gewesen wären. Absichtlich nicht gegendert, mit Frauen konnten wir den ganzen Tag nicht sprechen. Zwar rangierten sie zwischen “Arsch” und “Netter Kerl”, aber eine Problemeinsicht, dass irgendwas bei der Polizei irgendwie nicht 100% perfekt sein könnte hatte keiner. Alle waren vollends überzeugt, dass die Polizei unfehlbar sei und maximale Befugnisse für alles bräuchte, so kam es in den Gesprächen jedenfalls rüber.

Insgesamt vier Gesprächspartner ist jetzt keine so riesige Stichprobe, aber es hinterlässt ein verdammt ungutes Gefühl. Jetzt habe ich Bauchschmerzen. Nicht nur im übertragenden Sinne, wörtliche Bauchschmerzen. Ich zitterte bis eben noch, weil es mich nicht mehr loslässt.

Was ich heute sah waren zwei Dinge: (Größtenteils) Nette Menschen und eine sehr kaputte Organisation.

Den Rest des Abends werde ich mit dem Zugsimulator verbringen, in der Hoffnung etwas Ruhe in meine Gedanken zu bekommen.

September 19, 2022

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