Vorwort
CW: Gewalt, sexuelle Gewalt, Beschreibung von Verletzungen
Diese Geschichte ist genau so geschehen.
Am 01.01 war ich mit einer Freundin unterwegs durch Berlin, es war ein recht langsamer, angenehmer Abend. Gegen 23 Uhr waren wir im gr. Tiergarten und wollten den Abend ausklingen lassen und dann nach Hause fahren.
Da wurden wir von zwei Typen angesprochen, an denen wir vorher vorbeiliefen. Sie stellten sich neben uns in Reihe, machten seltsame Kommentare. Uns war etwas unwohl, schließlich sahen die schon aus wie Troublemaker. Jung, dumm, männlich. Auf einen blöden Spruch folgte der nächste. Unser Kram lag leider ausgebreitet auf einer Bank, sodass wir nicht einfach weggehen konnten. Ich fing dennoch an, zu packen, erst noch ziemlich wortlos. Einer fing an, sexuelle Avancen gegenüber meiner Freundin zu machen, legte seinen Arm um sie. Ihr war das sehr unangenehm und sie drückte ihn weg, ich ermahnte ihn die Pfoten von ihr zu lassen. Mein Pfefferspray hatte besagte Freundin.
Die beiden fingen an mich zu bedrohen, sprachen von ekelhaften Gewaltakten gegenüber meiner Freundin et cetera. Aufgrund ihres jungen Alters dachte ich, das sind einfach zwei Idioten die den Mund sehr sehr voll nehmen. Ich sagte ihnen, dass sie sich verpissen sollen. Abmarsch, alle beide jetzt. Genervt wandte ich mich kurz meinem Rucksack zu, doch als ich mich zurückdrehte bekam ich einen Schlag ins Gesicht. Und direkt den nächsten, nächsten, nächsten. Beide Typen schlugen mit aller Kraft auf mich ein.
Ich fiel zu Boden und stand ausweichend wieder auf, da kam ein Messer zum Vorschein und es war nicht meins. Er stach zwei mal auf mich ein. Das erste mal blockierte ich, er kommentierte das sogar “Oh blockiert!” bevor er wieder zustoch, was mich an der Hand erwischte. Trotz des Blockierens habe ich nicht zugeschlagen. Eigentlich gehört das zusammen, mit der einen Hand blockieren und mit der anderen austeilen. Aber irgendetwas hielt mich davon ab, diesen Mistkerl zu schlagen.
Vielleicht war es die Erkenntnis im 2 gegen 1 unterlegen zu sein, bedrohlich zu wirken könnte mich das Leben kosten. Vielleicht war es auch die Angst, selbst als Täterin charakterisiert zu werden. Nicht lange her ist es, dass die Polizei aus mir eine quasi-terroristische Straftäterin konstruierte. Die Frage stelle ich mir seither. Nach dem zweiten Block traf mich wieder ein Schlag vom anderen Kerl, voll ins Auge. Ich stolperte Rückwärts über so einen kleinen Zaun. Vielleicht dachten sie, sie hätten mich getötet oder schwer verletzt, denn sie ließen von mir ab.
Meine Freundin stand die Zeit über unter Schock, packte schnell die Sachen zusammen. Als ich wieder stehen konnte ging ich zu ihr, ich blutete überall und zog eine Spur hinter mir her. Sie bestand darauf, die Polizei zu rufen. Der Herr am Telefon fragte mich nach meinem Namen und ehrlich gesagt - ich hatte mehr Angst vor den Cops als den Typen. Ich zögerte kurz, da keifte er mich an dass wenn ich meinen Namen nicht nennen will, ich auch nicht in Gefahr sei, obwohl er die Kurzbeschreibung des Übergriffs inklusive unseren Ortes schon erhielt. Er lege nun auf, und das tat er auch. Wir gingen also zur S-Bahn, eine Maske konnte ich physisch nicht mehr aufziehen - zu geschwollen und blutüberströmt war mein Gesicht. Viele Menschen starrten mich an, wir saßen in die erste Bahn gen Westen und machten dort erstmal Bestandsanalyse. Die Verletzungen waren weniger schlimm als es wirkte, ich blutete an mehreren Stellen im Gesicht aber Zähne waren noch alle drin und den Kiefer konnte ich noch bewegen. Auch konnte ich auf beiden Augen noch sehen.
Stichverletzungen erlitt ich nur an der Hand, wo ein Lappen Haut vom Finger hing und den Sitz vollblutete. Ich fragte befreundete Mediziner nach Behandlung, aber keiner hatte Zeit weil alle betrunken oder high irgendwo gefühlt 8000km entfernt Neujahr nachfeierten. Wir fuhren also mit der S-Bahn ins Krankenhaus. Die Menschen dort waren unaufgeregt und freundlich, ich hatte zu dem Zeitpunkt meinen Humor wiedergefunden und witzelte ein wenig herum, was die Stimmung locker hielt. Nachdem ich genäht wurde und ein CT bestätigte, keine Hirnblutung oder Schädelfraktur erlitten zu haben gingen wir nach Hause - der Heilungsprozess begann. Das Körperliche stand zunächst im Vordergrund. Einige Tage später bemerkte ich die psychischen Auswirkungen.
Dazu kam noch die Sache mit meiner Mutter. Ich will sie bald besuchen - da sind die Fäden noch drin und vermutlich die Gesichtsverletzungen auch noch erkennbar. Ich wollte ihr eigentlich nichts davon sagen, sie macht sich so leicht Sorgen. Aber sie würde mich darauf ansprechen und meine Mutter ist eine ziemlich kluge Frau, die mich auch noch sehr gut kennt. Sie würde es sofort durchschauen, und das an ihrem Geburtstag. Also entschloss ich mich, es ihr gleich am nächsten Tag zu sagen, damit bis zu ihrem Geburtstag alles wieder im Lot ist sozusagen. Gesagt, getan. Sie hat fürchterlich am Telefon geweint, und da erst wurde mir selbst auch so ganz bewusst, wie einfach ich hätte sterben können. Was wenn ich den ersten Stich gen Torso nicht geblockt hätte? Oder der Zweite an den Hals gerutscht wäre?
Ich versteh mich als ziemlich abgebrüht, das war nicht das erste Messer das in mir steckte und auch ausgeteilt habe ich in meinem Leben schon. Ich bin schon so oft dem Tod von der Schippe gesprungen, meine Wahrnehmung der Todesgefahr ist komplett verzerrt. Und doch nimmt es einen mit. Erst 4-5 Tage später wurde mir klar, dass es nicht einfach eine Schlägerei war. Die hatten sich so auf mich eingeschossen, weil ich etwas gestört hatte. Dann fielen mir Stück um Stück wieder die Kommentare ein, die der Kerl gemacht hatte. Und dass er sie zu sich gezogen hat, seinen Arm um sie gelegt hat und ihr ins Ohr geflüstert hat, gegen ihren Willen.
Natürlich werde ich geplagt von sinnlosen Rachegedanken und ich spiele die Situation im Kopf immer wieder durch, nur dass ich etwas anders mache und dann “berechne” wie es ausgegangen wäre wenn ich dies und das getan hätte. Aber ich muss sagen, dass nun auch etwas Stolz mitschwingt.
Ich hab mich in die sprichwörtliche Kugel geworfen, damit sie unverletzt bleibt.