Anarchist Angel's Gedankenwelt

Tagebuch: Umgang der Bundespolizei mit Menschen mit Behinderung

Vorwort

Diese Geschichte ist genau so geschehen.


Gestern ist mir etwas passiert, das ich noch nicht so ganz verstanden habe. Ich stieg am Berliner Hauptbahnhof aus der S-Bahn, kam genau einen Schritt weit, da wurde ich von Polizisten aufgehalten. Die Männer wählten mich zur Kontrolle. Es sei erwähnt, dass ich an meiner Punkerkutte auch einen ACAB-Aufnäher trage, an dem sich so manch ein uniformierter Mann stört. Dass sie mich also zur Kontrolle bitten, sei geschenkt. Zwar nicht im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und der damit verbundenen Neutralität, aber so weit im Traumland sind wir alle nicht mehr dass wir die Deutsche Polizeien für neutral halten. Ich zumindest nicht, darum ja auch der Patch.

Ich und mein Rucksack wurden Durchsucht, die Identität festgestellt. Dabei erwähnte ich, dass ich Autistin bin. Der Tag lief nämlich schon den ganzen Tag so schlecht, dass ich ständig am Rande eines Meltdowns war. Ich trage für gewöhnlich ein Arsenal an Werkzeugen dabei, weil mir das ermöglicht, mich ständig einfacher an Situationen anzupassen. Wie eine kleine Erkunderin, sozusagen. Denn was für neurotypische Menschen schnöder Alltag ist, ist für mich stets eine faszinierende aber manchmal auch völlig überfordernde oder gefährliche Exkursion in die Welt allistischer (Nicht-autistischer) Menschen. Ein bisschen wie ein Alien, inklusive Nachhausetelefonieren. Unter diesen Werkzeugen ist auch ein (legales) Messer, eines davon war hier auch schoneinmal Thema weil die Bundespolizei die Herausgabe durch Irreführung verzögerte. Da bin ich also erfahren, ich habe mehrere Messer die regelmässig ‘sichergestellt’ und wieder ausgehändigt werden, es rotiert quasi mit jeder Kontrolle. Das habe ich auch gleich erwähnt und ausgehändigt.

Ein anderes, für mich lebenswichtiges Tool, sind meine Lockpicks. Warum lebenswichtig? Nun, sie helfen mir Meltdowns zu verhindern, ich benutze sie zusammen mit Schlössern die ich mit der Zeit finde, geschenkt bekomme oder selbst kaufe zum Stimming. D.h. ich knacke immer wieder das selbe Schloss, um ein Gedankenkreisen (-> Stressor) zu verhindern, meine Hände beschäftigt zu halten, und positive auditive Stimuli zu produzieren (Klicken von Pins, das “Klack” des herausspringenden Bügels). Es ist also eine komplexe und vielleicht auch seltene Art des Stimmings, die mir aber multidimensional hilft, dem Alltag zu begegnen. Der ist im Allgemeinen sehr stressig und anspruchsvoll, ganz unabhängig von meinem Autismus.

Auch diese wurden sichergestellt. Ich bat die Polizisten, das nicht zu tun. Oder mir wenigstens einen Pick und einen Dietrich zu lassen. Ich wurde ausgelacht und als “total behindert” bezeichnet, vom gleichen Herren, der meinte ich sähe nicht aus wie eine Grünenwählerin (Wegen ACAB -> Annalena Charlotte Alma Baerbock). Auf meine Nachfrage, wie Grünenwählerinnen denn aussehen meinte er das dürfe er nur am Stammtisch sagen. Er hat seine politische Haltung also klar markiert.

Zudem wurde mir wegen des Patches ein mir noch unbekannt hohes Bußgeld angekündigt. Es sei eine Owi nach §118 OWiG. Das ist nicht korrekt, es gibt viele Urteile dazu, dass das alleinige Zeigen der vier Buchstaben keine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt (Vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 12.02.2018 - 21 Ss OWi 200/17).

Mein Stresspegel steigt bei jeder Kontrolle natürlich schlagartig. Und jetzt durfte ich nicht mehr stimmen. Ich hatte auch keine anderen stims mehr. Ehrlich gesagt ist blöderweise ein anderer Stim, ständig mit dem Finger über die Messerbacke zu fahren. Das geht aber in der Öffentlichkeit eh nicht, weil es ggf. bedrohlich wirken könnte. Aber nun hab ich ja sowieso keins mehr. Ich spürte wie alles in mir hochkochte. Ich drückte meine Bedenken gegenüber den Beamten aus. Sie ließen mich nicht erklären, was Stimming ist. Und kennen das Wort “fidget” nur vom Fidget Spinner, über den sie sich in meiner Anwesenheit lustig machten (Ich habe keinen, not my stim). Mit zunehmendem Lebensalter können Autist:innen Meltdowns oft kommen spüren und sie verhindern oder abschwächen, oder sich in sichere Umgebungen begeben. Ich wurde aber festgehalten an einem sehr lauten Ort. Ich drückte mir schnell noch in Anwesenheit der Uniformierten die Ohrstöpsel rein und.. ab da wird’s schwammig.

Zunächst war es Shutdown-Ähnlich, ich ging zu boden und kniff die Augen eine Weile zu. Aber es war kein Shutdown. Es war nur mein eiserner Wille, der egal wie viel Schaden es meiner Psyche zuführen würde verhindern will, dass ich am Hauptbahnhof rumbrülle wie ne Verrückte. Nichtmal aus Scham, sondern aus Angst. Aus Angst, sie würden wiederkommen. Sie würden mir wehtun, mich irgendwohinbringen. Oder mich sogar töten. Meltdowns können unter Umständen auch anderen gefährlich werden. Von ihnen kommt der Mythos der “Monsterkinder”, die wir Autist:innen laut manchen seien. Im Falle eines Meltdowns ist am besten, die Sensory Load der Person zu verringern, keine Kommunikationsversuche zu starten und selbst ruhig zu bleiben. In meiner und leider der Erfahrung vieler anderer Menschen reagieren Polizist:innen aber mit dem Gegenteil: lautes Schreien, Aufforderungen, Befehle und beim offensichtlich folgenden Nichtnachkommen Gewalt bishin zur tödlichen. Darunter fällt nicht nur das Erschießen sondern auch das Abdrücken der Atemwege oder das Herbeiführen eines Herzstillstands durch den extremen Stress.

Ich ringe also mit mir selbst um Kontrolle, und schaffe es schließlich die Augen zu öffnen, die Beamten waren weg, einfach aufzuspringen, die Treppe hochzurennen und in die S-Bahn zu hechten. Hauptsache weg von den Polizisten. Diese kurze Aufbringen von exekutiver Kontrolle und Verhaltenshemmung kam mit hohem Preis. In der S-Bahn verprügelte ich mich selbst, recht heftig. Klingt bescheuert, ist es auch. Das ist der Kontext, in dem ich Autismus auch als Behinderung bezeichne.

Im Nachhinein bin ich schockiert über das Verhalten der Polizisten. Ich meine, meine Erwartungen an Polizist:innen sind erfahrungsgemäß äußerst gering. Aber ich wurde im Freundeskreis darauf hingewiesen, dass dies sei als würde mensch einer gehbehinderten Person die Gehhilfe beschlagnahmen. Mit einer Gehhilfe lässt sich auch wer verprügeln, also Straftaten begehen. Es wäre aber ein Unding. Und ich finde, meine Freund:innen haben Recht. Aber unsichtbare Behinderungen sind eben unsichtbar, an der Person und in der Gesellschaft. Ich schätze, für viele von euch ist das das erste mal, dass ihr davon überhaupt lest, darum habe ich die Links zum Autism-Wiki eingefügt. Denn viele schämen sich für ihre Behinderung. Ich auch, ich will auch nicht rumbrüllen wie Klischeepsychos oder die Gefühle als Mord- und Totschlagsfantasien verbalisieren. Das passiert auch sehr selten, da ich als Erwachsene genug Wissen und Werkzeuge erworben habe, Situationen zu vermeiden oder zu managen, um im Alltag gut klar zu kommen. Der einzige Kontext, in dem ich noch Meltdowns habe, ist die Polizei. Durch ihr gewaltsames Auftreten, die absolute Situationskontrolle (“Hände aus den Taschen!”, obwohl diese doch eben durchsucht wurden.) und deren Angewohnheit, mir ständig Dinge wegzunehmen entfallen mir nahezu alle Copingstrategien und ich bin schutzlos ausgeliefert. Dazu kommt, dass Polizeikontrollen selbst starke Stressoren sind, also schon ohne Wechselwirkung mit schlechten Tagen das Potential haben, Meltdowns auszulösen.

Mir war aber wichtig, diese Perspektive irgendwie zu teilen. In der Hoffnung, dass ein wenig gesellschaftliche Sichtbarkeit gedeihe, die sich auch in einer Erwartungshaltung gegenüber Polizeibeamten richtet. So viele einfache Methoden könnten schon helfen: Autist:innen bei der Kontrolle stimmen lassen, wenn der Stim abgesprochen ist. Mit sanfter Stimme sprechen statt zu schreien. Und vor allem: Nicht unsere Gehhilfen wegnehmen. Wegen der allgemeinen Gehässigkeit des Beamten weiß ich nicht, ob er wirklich besorgt war ich würde gleich irgendwo einbrechen wollen und den Meltdown in Kauf nahm, oder ob es sogar gewollt war, dass mir dieses Mittel fehlt.

Ich habe keine Belege für letzteres und will es nicht pauschal unterstellen, aber die Gehässigkeit mir als “Angehörige der autonomen Szene Berlins” (Citation needed?) gegenüber machte er sehr stark spürbar und ich halte es für eine Möglichkeit.

August 22, 2021

Fragen, Anregungen oder Feedback? Dann schreibmir@anarchistangel.de!