Anarchist Angel's Gedankenwelt

Tagebuch: Unschuld schützt vor Strafe nicht

Vorwort

Diese Geschichte ist genau so geschehen.


Viele von Euch erinnern sich vielleicht an die Softair-Geschichte. Für alle anderen, eine kleine Kurzversion: Am 01.04.21 transportierte ich unter Beachtung aller Vorschriften eine Softair zu einem Freund und zurück. Nicht schussbereit, nicht einsehbar, nicht zugriffsbereit. Auf dem Rückweg um etwa 1 Uhr musste ich am Berliner Hbf umsteigen. Ich wartete auf die S-Bahn. Da kamen einige Bundespolizist:innen auf mich zu, umkreisten mich. Zwei davon hatten ihre Hände an den Schusswaffen. “Guten Abend. Sie tragen die falsche Maske.” Querdenker-Thriller? Ich trug eine OP Maske. Seit 01.04. galt in Berlin aber die FFP2-Pflicht. Hab ich verbummelt, weshalb ich mich auch entschuldigte. Glücklicherweise hatte ich eine FFP2 vorsichtshalber dabei, weil ich schon ahnte dass irgendwann auch eine FFP2-Pflicht in Berlin käme. Doch die Beamten ließen sie mich nicht aufziehen. Später werden sie behaupten, ich hätte mich geweigert und abgewandt. Ich wurde in Gewahrsam genommen, da ich meinen Ausweis nicht vorzeigen konnte. Fünf Stunden lang. Dabei kam auch die Softair zu sprechen, ich bekäme deswegen eine Strafanzeige. Ich fragte weswegen, wogegen ich verstoßen hätte. Keine Antwort vom Beamten.

Ich erhielt dann auch direkt einen Strafbefehl über etwa 900€. Unerlaubtes Führen von Schusswaffen. Widerspruch, natürlich!

So zog sich seither ein Rechtsstreit durch mein Leben. Es stellte sich dann heraus, die Beamten behaupteten ich hätte ihnen gegenüber angegeben die ungeladene, nicht zugriffsbereite Softair regelmässig mit mir herumzutragen um mich selbst zu verteidigen können. Sicher.

Warum die so eine Scheiße behaupten? Naja das erklärt sich schnell: ich bin zwar Hautton Alpinweiß, aber erkennbar linksradikal, Punkerin. Rasierte Haare, Springerstiefel und ne Jeansjacke voller Patches.. darunter damals auch noch eines mit den vier Buchstaben “A.C.A.B.”, an dem sich die männlichen Beamten sehr sehr störten. Die Polizistin hat das irgendwie überhaupt nicht tangiert. Die Beamten machten auch eine komplette ED-Registrierung, weil bei mir eine akute Wiederholungsgefahr bestünde, da ich “Ablehnendes Verhalten gegenüber polizeilichen Maßnahmen, insbesondere durch männliche PVB” zeige, so das Zitat aus der Ermittlungsakte.

Der Rechtsstreit zog sich und es wurde ziemlich schnell klar: Ich dachte anfangs, ich könnte sehr einfach die Lügen der Beamten widerlegen. Einfach aus meiner Perspektive. Aber ich musste eine bittere Wahrheit schlucken:

Das juckt das Gericht nicht. Wahrheitsfindung macht Arbeit. Und ich bin durch den Widerspruch eh schon unangenehme Arbeit. Dementsprechend ungehalten reagierte die Richterin am ersten Prozesstag.

Ich kam geradesoweit meine Personalien zu bestätigen. Die Richterin schrie dann meinen Verteidiger und mich an. Was das soll, wie gefährlich Softairs seien, damit würde man Menschen Augen ausschießen. Sie hat offenbar keine Ahnung vom Softairsport, die sind nämlich fälschlicherweise im Waffenrecht obwohl sie nach Definition keine Waffen sind, sondern Sportgeräte. Scheiße dacht ich mir. Drei Minuten wurden wir abwechselnd angemault und dann nach Hause geschickt. Urteil gabs keins, sie will die Zeug:innen laden. Zwischenzeitlich gings mir immer schlechter. Ich bin Autistin und wie es so ist haben wir einen sehr starken Gerechtigkeitssinn. Der hat gelitten. Aber sowas von. Dazu das Gefühl permanenter Bedrohung. Zwischenzeitlich ereigneten sich noch mehrere Vorfälle mit der BPOL am Hbf. Jedes mal die gleiche Truppe, die mich drangsaliert, mir Sachen wegnimmt, etc. Ich war geneigt den Slogan “ACAB” noch vehementer zu vertreten. Aber ich bekam auch Zuschriften von Polizisten, die sowohl ihren Ärger über die Kollegen als auch Mitgefühl mit mir ausdrückten. Schlussendlich wandte ich mich ganz von dem Slogan ab, weil er mir zu plakativ ist und falsches über mich kommuniziert, wenngleich er inhaltlich zutreffen mag.

Tatsächlich wurde ich daraufhin etwas seltener kontrolliert, obwohl meine linke Einstellung mir definitiv trotzdem anzusehen ist. Aber es half mir mit der Gerichtssache nicht.

Ich schlief mit Gedanken an Wortgefechte vor Gericht ein, träumte von Verfolgung durch den Staat und Gefängnis. Ich wachte auf, das Bild der Richterin im Kopf. Ich traute mich immer seltener raus. Und den Hauptbahnhof meide ich fast komplett. In der Badewanne überkamen mich Schreikrämpfe. Mein Drogenkonsum erhöhte sich stark. Vor drei Wochen kamen erste, rein momentane Gedanken auf, ob sich das Weiterleben überhaupt lohne. Nichts ernstes, aber ich wollte nicht warten bis es ernster werden würde. Ich hatte unterschätzt wie extrem diese Belastung für mich ist.

Da wurde mir klar: ich musste das beenden. Scheißegal wie, hauptsache es hört auf. Wenn es vorbei ist, kann die Wunde heilen. Dennoch zögerte ich, bis gestern mein Anwalt mir empfahl den Strafbefehl doch zu akzeptieren, nachdem mein wichtigster Entlastungszeuge wohl jetzt im Ausland lebt und nicht mehr erreichbar ist. Das war mir sehr zuwider. Eine Straftat zugeben, die ich nicht begangen habe, nur um weniger stark bestraft zu werden. Das Epitom an Ungerechtigkeit, das gern als Beispiel für sog. “Unrechtsstaaten” herbeigezogen wird. Ein Alford-Plea im US-Raum. Quasi ein Foltergeständnis auf eine abstraktere Art: Gestehe, oder wir tun dir noch viel mehr weh!

Nun warte ich auf die Rechnung. Schätzung geht von 900€ bis 1500€ mit allen Kosten. Den “Straf”-Anteil (Als würde es einen Unterschied machen ob das Strafe oder Verfahrenskosten sind) versuche ich ggf. über Sozialstunden abzuscheffeln. Noch tobt die Unruhe in mir. Noch ärgere ich mich und weine auch. Aber bald kann die Wunde heilen.

Ich weiß noch nicht, wie ich die Strafe bezahlen soll. Trotzig kam mir der Gedanke das über Drogenverkauf wieder reinzuholen, natürlich nur als Scherz. Aber mir ist einfach nochmal viel klarer geworden, wie “Kriminelle” nicht auf die “schiefe Bahn geraten” oder “sich kriminalisieren”, sondern dass sie kriminalisiert werden.

Ich habe das Glück, offen über diese Dinge sprechen zu können. Einige Menschen baten mir schon ihre Hilfe an, möchten spenden. Ich bin nicht gezwungen, zu illegalen Methoden greifen zu müssen, um vermeintlich dem System zu entrinnen. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Privileg.

Tja, wie geht es mir jetzt? Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Bin ich erleichtert? Irgendwie (noch?) nicht. Heute habe ich auch gut geschlafen, könnte aber auch am Alkoholrausch liegen. Und jetzt? Läuft 80’s Synthwave im Hintergrund und ich habe mich am Zugsimulator versucht. Aber die Gedanken rauschen noch zu sehr, noch lässt es mir keine Ruh.

Durchhalten, einfach durchhalten.

October 7, 2021

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